Anläßlich
eines meiner seltenen Besuche bei meiner
Mutter, irgendwann im Februar 05, fragte sie mich, ob ich Lust
hätte, im Sommer
mit ihr gemeinsam Urlaub zu machen. "Na klar", meine spontane Antwort,
denn zum
einen sehen wir uns selten und zum anderen ist ein gemeinsamer Urlaub
für mich
erfahrungsgemäß doch recht preiswert. Schon begannen wir
Kataloge zu wälzen und entschieden uns
spontan für die Phoenix- Flußreise von St. Petersburg nach
Moskau.
Rußland - unentdecktes Land, mit so viel schöner und
schlimmer Geschichte, so viel Leid und Freude, so viel krassen
Gegensätzen und unendlichen Weiten.
Wir haben uns also diesmal vorgenommen, das Herz und die
Seele des Landes kennenzulernen. Ob uns das gelang? Lesen Sie selbst...
Da hatten wir uns
aber was vorgenommen! Am Vormittag die Innenstadt besichtigen, am
Nachmittag den Peterhof und abends ins Ballett. Um 8:30 Uhr setzten
sich unsere die Busse mit uns Richtung Innenstadt in Marsch. Immer an
der Newa entlang bekamen wir einen Eindruck von der Größe
der Stadt. Auch erwies sich die Führerin Natascha als sehr
kompetent und brachte uns vieles auf nette Art näher. Beispiel:
"Woran erkennt man in St. Petersburg die Wodkafabriken? Die haben als
einzige neue Stacheldrahtzäune". Das konnten wir auch mehrfach
bestätigen. An einer Nudelfabrik mit 5.000 Mitarbeitern und an den Kirow- Werken mit
17.000 Mitarbeitern fuhren wir mehrere Minuten vorbei. Solche riesigen
Fabriken mitten in der Stadt! Die Arbeitslosenquote liegt unter 1 % und
es gibt in der Stadt 45.000 freie Arbeitsstellen. Der erste Halt
war an dem herrlichen Smolny-Kloster, das gerade von Grund auf saniert
wird und somit nur zum Teil sichtbar ist. Vorbei ging es am ehemaligen
KGB-Hauptquartier, einem Hochhaus mit Glasdach, durch das man, wie der
Volksmund sagte, bis Sibirien schauen konnte. Dann folgte ein Halt an der von uns schon
am Vortag besuchten Christi-Auferstehungs-Kirche. Anschließend
gingen wir noch zum Puschkindenkmal vor dem ethnologischen Museum. Dort
wurde ich von einem alten Mann so geschickt angebettelt - er
erzählte mir seine tragische Lebensgeschichte in passablem
Englisch -, daß ich ihm glatt 50 Rubel (keine 1,50 EUR) gab. Es
folgte eine längere Pause, in der wir einen kombinierten
Toiletten- Souvenir- Kaffee- Wodkapunkt (ehemaliger Prachtpalast des
Fürsten Wassili) anfuhren. Solche Zentren für die so
genannten technischen Pausen existieren offensichtlich
flächendeckend in Petersburg und sind sicher eine lebensnotwendige
Institution für die unzähligen Busreisegruppen. Wodka, Kaffee
und Toilettenbenutzung sind kostenlos, dafür soll man aber in den
üppig gefüllten Souvenirläden zu Europreisen irgendein
Mitbringsel kaufen. Gehorsam erstand ich einen schönen
großen Kalender vom Peterhof für 2006 und Mutti holte sich
ein schönes Fabergé-Ei. Draußen bewunderte ich das
tolle Denkmal, das 1800 der Urenkel dem Urgroßvater, so die
Inschrift, widmete (Alexander I. an Peter III. ohne Gewähr). Nach
dieser Pause fuhren wir an der Fontanka entlang und bogen in den
Newski-Prospekt ein, um dort zahlreiche Bauten zu bewundern. Unseren
nächsten Halt machten wir am Ende der Wassiljewski-Insel. Diese
Stelle liebe ich am meisten, sieht man doch von dort im Rundblick die
Festungen, die Eremitage, die Isaak-Kathedrale, die Rostra-Säulen
und die Newa am besten. Und natürlich muß man an dieser
Stelle auch die Hochzeitspaare erwähnen, die hier
brauchgemäß Sekt trinken und an die Newa gehen. Wir sahen
auf unserer Reise sehr viele blutjunge Brautpaare, doch wie wir
irgendwann erfahren, liegt die Scheidungsrate leider bei 50%. Zum
dritten Male entstand an dieser Stelle ein Foto, wie man hier sehen und
vergleichen kann.
Dann ging es in die
auf den Fotos immer im Hintergrund liegende Peter- und Pauls-Festung.
Dort hatten wir eine ausführliche und kompetente Führung,
bestaunten voll Ehrfurcht die monströsen Ikonostasen und die Sarkophage vieler russischer
Herrscher. Lange verharrte ich vor dem Grab Peter I. (des
Großen). Die Pracht verschlug einem schier die Sprache. Zum
Abschluß sangen noch vier Mönche mit Engelskehlen zwei
kirchliche Lieder in einer kleinen Kirche. Bei der Weiterfahrt kamen wir an meinem
Lieblingsdenkmal vorbei. Es zeigt Peter den Großen und wurde der
Stadt von Katharina der Großen geschenkt. Dann schauten wir
uns noch die Isaak-Kathedrale an, diesmal leider nur von außen,
aber ich war ja schon zweimal in ihr, da konnte ich das gut
verschmerzen. Das Wetter verschlechterte sich und während wir am
zweiten technischen Haltepunkt wieder Souvenirs kauften (ich holte zwei
recht preisintensive Lackbrennarbeiten), regnete es sogar ein paar
Tropfen. Doch auf der Fahrt zum Peterhof (Sommersitz des Zaren)
überlegte es sich das Wetter wieder anders und ließ die
Sonne scheinen. Wir verließen die riesige Stadt (Ausdehnung 46 x
23 Kilometer) in Richtung Westen. Jetzt kamen auch unsere
Lunchpakete zum Einsatz, die wir statt eines Mittagessens erhalten
hatten. Hätte es davon mehr gegeben, so hätten wir alle gut
abnehmen können; 2 pappige kleine Brötchen, ein
Chemo-Joghurt, eine Banane, ein ungenießbares Küchelchen und
eine Flasche Billigwasser rissen keinen vom Hocker. Auf der Fahrt zum Peterhof sahen wir auch den
nur als mondän zu bezeichnenden Ferienregierungssitz von Wladimir
Putin, frisch gepflanzte, große Birken im Vordergrund und ein
schlecht sehbarer Rienpalast im Hintergrund. Diesem Ensemble ist es zu
verdanken, daß die Straßen nach Peterhof neuerdings in
einem tollen Zustand sind. So verkürzte sich auch die Fahrzeit
gegenüber Vorjahren auf ein erträgliches Maß und
bereits vor 15:00 Uhr waren wir im schönsten Schloßpark der
Welt. Dort schlenderten wir anderthalb Stunden durch die weiten
Parkanlagen und an der Ostseeküste und genossen die Schönheit
der Welt. Leider mußten wir irgendwann wieder zum Bus
zurück. Auf dem Rückweg machten wir noch einen technischen
Halt und bewunderten die von der deutschen Partnerstadt Bad Homburg
großzügig finanzierte, wieder in altem Glanz aufgebaute
Kathedrale der Apostelfürsten Petrus und Paulus. Für 50 Rubel
durfte ich die 137 Stufen erklimmen und wurde mit einer herrlichen
Rundumsicht belohnt. Des weiten sahen wir noch eines der wenigen
übrig gebliebenen Lenindenkmäler vor dem sogenannten neuen
Rathaus, welches Gott sei Dank aber nie in Betrieb genommen wurde.
Gegen 17:45 Uhr waren wir wieder auf dem Schiff, eine Viertelstunde
später gab es Abendbrot und dann mußten wir uns schon fein
machen für das Ballett, sollte die Abfahrt doch 19:00 Uhr sein.
Klischee: Wer nach Rußland fährt, der muß sich
Tschaikowskis "Schwanensee" in einem mondänen Theater in St.
Petersburg anschauen. Nun gut, wir erfüllten dieses Klischee
gerne. Aber nur 27 weitere Leute unseres Schiffes wollten ins Ballett.
Ich war noch mehr verwundert, als ich hörte, daß das diesmal
ungewöhnlich viel Interessierte seien. Manchmal verstehe ich die
Welt nicht. Ballett in St. Petersburg im Imperator-Theater und dann
noch Tschaikowskis Schwanensee und nur so wenig Interessenten. Klar,
die 60 Euro Eintritt schrecken schon ein wenig, aber wie oft kann man
so etwas erleben? In Bayreuth ist es deutlich teurer und in Deutschland
kosten Rockkonzerte mittlerweile fast ebenso viel. Jedenfalls nahmen
wir dieses tolle Angebot wahr und wurden in keinster Weise
enttäuscht, nein, wir waren nur einmal fasziniert und begeistert
und bedauerten alle Daheimgebliebenen. Wie grazil und wohltuend
für das Auge die Tänzerinnen und Tänzer zur vom
hervorragenden Orchester dargebotenen und weltbekannten Musik
über die Bühne schwebten, das war ein Augen- und Ohrenschmaus
und ein Höhepunkt der Reise, dessentwegen sie sich allein schon
gelohnt hätte. Nur Christa hatte leichtes Pech, saß neben ihr
doch ein ungewaschener, in Drecksklamotten steckender Einheimischer,
der nicht nur nach Wodka stank, sondern beim fortwährenden
Einschlafen auch noch gegen Christa stieß. Dennoch war sie
begeistert von dem Geschehen auf der Bühne. Selbst Nummer 2 kam
nicht umhin, begeistert und damit endlich mal unserer Meinung zu sein.
Gegen 23:00 Uhr waren wir wieder auf dem Schiff, tranken noch ein
Absackerbierchen in der Balalaika-Bar und ärgerten uns erneut
über die deutlich zu hohen Preise, waren wir doch von
vorhergehenden Kreuzfahrten Besseres gewohnt. Ein 0,5-Bier kostete 3,00
EUR, das gleiche Bier gab es vor den Anlegestellen für 25 Rubel
(0,75 EUR) und in der Stadt für 16 Rubel (0,45 EUR). Dann sanken
wir zufrieden und erschöpft ins Bett.
Um 7:40 weckt uns
Katrin oder Olga über das Bordradio recht abrupt. Schnell
geduscht, was in der kleinen Badzelle mit der seltsamen Brause, die aus
dem Waschbecken gezogen wird, überraschend gut gelingt.
Frühstück, wie immer mit sehr viel Ei zubereitet. Um 9:00
sollten die Busse zur Eremitage abfahren. Alle waren da, nur einer
fehlte. Und wer fehlte? Richtig: Der Erzähler in eigener Person
war doch schnell 1000 Rubel (30 Euro) tauschen gegangen und mit einer
großen Umhängetasche zum Kiosk gestürzt, um Bier und
alkoholfreie Getränke zu kaufen. Nur rechnete ich nicht
damit, daß a) unser Schiff so weit weg lag (am Vortag parkten wir
um, ich mußte nun an 7 Schiffen á 200 Meter Länge hin
und zurück vorbei rennen, vorher lagen wir ganz vorne) und daß b) die
Verkäuferin geradezu beleidigt war von meinem Ansinnen, bei ihr etwas kaufen zu
wollen. So kam ich ein paar Minuten zu spät, aber immerhin lagen
bei Abfahrt des Busses 12 Biere und diverse Tonics, Bitter Lemons usw.
in meinem Kühlschrank. Alles zusammen kostete 370 Rubel (10 Euro),
den Gegenwert von drei Bieren mit Trinkgeld auf dem Schiff. Insofern
waren die 3 Minuten, die man auf mich warten mußte, verzeihlich.
Nun ging es aber wieder ab in die Innenstadt. Ohne Umschweife kamen wir
auf dem Platz vor dem Winterpalais an und schlenderten noch durch die
aufwachende Stadt. Um 10:00 Uhr öffnete die Eremitage und wir
konnten uns zu den ersten Besuchern zählen. Unsere heutige
Führerin heißt Nina und führt uns zu ausgewählten
Höhepunkten der gigantischen Ausstellung (über 3 Millionen
Exponate). Glücklicherweise betrachten wir ganz andere Säle
als bei meinem Erstbesuch, so daß sich nichts wiederholt. Wir
bewundern altgriechische Statuen, die teilweise 2500 Jahre alt sind,
spanische und holländische Meister, die riesige Galerie mit
Ölgemälden aller Offiziere des Krieges 1812/13 gegen
Napoleon, die Zarenbildnisse und Prunksäle, den kleinen und
großen Thronsaal und vieles mehr. Wir sehen das
Speisezimmer, in welchem die Romanows von den revolutinierenden
Schergen verhaftet wurden und erschauern, wissen wir doch, was danach
mit ihnen geschah. Die Pracht, die Größe, der pure
Überfluß erschlagen einen förmlich und man kommt sich
ganz unbedeutend vor. Oder was soll man fühlen, wenn man bspw. vor einem
"Schälchen" steht, daß 22 Tonnen wiegt und aus purem Jaspis
ist. Völlig überwältigt beenden
wir unsere kurze Stippvisite in der Eremitage und trinken noch in Ruhe
einen Kaffee. Dann verzehren wir wieder das öde Lunchpaket
im Bus, der uns nun nach Puschkin bringt, zum Katharinenschloß
(Sommerresidenz der Zarin), in dem heute das nachgebaute
Bernsteinzimmer zu bewundern ist, das vor allem mit Hilfe der Ruhrgas
AG, die 3,5 Mio. EUR spendete, hervorragend rekonstruiert wurde. Bei
herrlichem Wetter fuhr der Bus rasch die 24 Kilometer ins heutige
Puschkin, das früher Zarskoje Zelo hieß. Interessant fanden
wir einen Halbschrankenbahnübergang, der zusätzlich noch
Betonelemente aus der Straße ragen ließ, damit wirklich
niemand unerlaubt über die Schienen flitzt. Mit der
Verkehrsdisziplin ist es sowieso nicht allzu weit her. Dazu tragen die
häufigen Staus bei, die nicht nur der unbeherrschte Massenverkehr
erzeugt, sondern auch oft ein liegengebliebenes Gefährt am
Straßenrand, das bereits 1975 vom TÜV auf den Schrottplatz
verbannt worden wäre. Gegen 14:00 Uhr warteten wir mit vielen
anderen Reisegruppen auf Einlaß. Schließlich war es soweit
und wieder einmal überwältigte uns die Pracht und der Glanz
einer vergangenen Ära. Unsere Dolmetscherin wußte zu
berichten, daß im Frühjahr dieses Jahres ein britischer
Multimillionär den großen Spiegelsaal zum 18. Geburtstag
seiner Tochter gemietet hatte. Unter den 100 Gästen war u. a. auch Prinz
Harry. Über den Preis schweigt man sich logischerweise aus, ich
gehe aber davon aus, daß man damit eine kleine Reihenhaussiedlung
erwerben könnte. Ein kleiner Wermutstropfen war die unsachliche
Erläuterung der Dolmetscherin im Bernsteinzimmer. Das wäre
unserer Natascha vom Vortage nicht passiert. Diese sah ich
übrigens im großen Festsaal eine andere Reisegruppe
betreuen. Noch eine peinliche Geschichte am Rande. Unserer sehr netten
und aufgeschlossenen Dolmetscherin merkte man deutlich an, daß
sie auf ihre Stadt, ihr Land und ihre Herkunft sehr stolz ist.
Vor einem Puschkindenkmal sprach sie mit großer Verehrung
über diesen Nationaldichter und dessen Bedeutung für die
Seele des russischen Volkes. Eine Mitreisende (ich schäme mich
schon, wenn ich es schreibe)sagte daraufhin zu dieser Dolmetscherin:
"Wir haben zu Hause einen Hund, der heißt auch Puschkin. Und
wissen Sie auch wieso? Weil wir unseren Sohn Alexander genannt haben."
Da wurde der Takt nur durch das Feingefühl übertroffen. Und
die Frau hörte nicht auf, so peinlich und penetrant im Fettnapf
herum zu trampeln. Noch Minuten später schwirrten
Gesprächsfetzen wie "Labrador" durch die Luft. Ich wußte gar
nicht, in welche Ritze ich vor Scham kriechen sollte. Und dann
kam der nächste Schock der Reise. Ich hatte meine erste 512er
Chipkarte voll geknipst und legte den zweiten Chip ein, der sich, trotz allen Bemühens, als
defekt erwies. Da stand ich nun ohne ein weiteres Medium. So
mußte ich notgedrungen einige der vielen Bilder, die ich bisher
machte, wieder löschen und schraubte dann noch die Auflösung
herunter, um Speicherplatz zu sparen. 63 Bilder in verminderter
Qualität, das war alles, was mir für den Rest der Reise zur
Verfügung stehen würde, wenn sich nicht noch etwas anderes
ergeben würde. Ein kleiner Spaziergang im Schloßpark rundete
das Programm dieses Nachmittags ab und dann kehrten wir zur
Anlegestelle zurück. Mutti und Christa gingen in einen Supermarkt,
um Wein, einen Spiegel und Getränke zu holen und ich erkundete
nun, nach 2 Tagen an Bord, das erste Mal ein bißchen unser
Schiff.
Die MS "Lenin" wurde 1987 auf den Elbewerften "Boizenburg/Roßlau"
in der DDR gebaut und atmet auch diesen Charme (Sprelakartmöbel,
Lichtschalter, Badgestaltung usw.)aus. Die Länge ist 129,1 und die
Breite 16,7 Meter. Maximal schafft sie 25 km/h. 332 Menschen
können maximal an Bord, 98 Mann stark ist die Besatzung. Ich
schätze, daß 280 Gäste an Bord waren. Auch am letzten
Reisetag trafen wir noch Ehepaare, die wir bis dato nie gesehen hatten,
andere dagegen sahen wir täglich mehrmals. Pünktlich um 20:00
Uhr legte die MS "Lenin" endlich ab und der ursprüngliche
Reisezweck, die Weiten Rußlands vom Wasser aus zu erleben" kam
das erste Mal zum Zuge. Wir verließen St. Petersburg und fuhren
die Newa flußaufwärts Richtung Ladogasee. Die obligatorische Rettungsübung
klaute uns allen eine halbe Stunde des Aufenthaltes auf den oberen
Decks. Die mächtige, kristallklare Newa ist leider nur 72
Kilometer kurz. So kann man in den drei Stunden gar kein
Gefühl für diesen Fluß bekommen, der durchgehend
mindestens 24 Meter Fahrrinne bietet.
Wir passierten eine neu gebaute Stadtbrücke und eine
Eisenbahnbrücke, auf der fotogerecht ein Güterzug hupend
die Brückenmitte erreichte, als wir, ebenfalls das Horn
betätigend, unter ihr hindurch glitten. Warum erwähne ich die
Brücken? Nun, das sollte es für die nächsten Tage erst
einmal an Brücken gewesen sein. Um 23:15 Uhr verließen wir
die Newa, grüßten die Schlüsselburg, die
majestätisch in der immer noch herrschenden Abenddämmerung
lag und befuhren nun den mit 480 x 240 km Ausdehnung größten
See Europas, den Ladogasee. Irgendwann wurde der Wind zu frisch, die
Dämmerung wieder heller, so richtig dunkel wurde es nicht und wir
beendeten den Tag in der Balalaika- Bar.
Mitten in der Nacht, also um 7:00 Uhr
wurden wir geweckt. Ein Blick aus dem Kabinenfenster ließ mich
die Morgentoilette besonders eilig beenden, sah ich doch eine herrliche
Insellandschaft im Morgensonnenschein vor mir liegen. Nach dem
Frühstück betraten wir den Boden der Insel Walaam, einer
finno-ugrischen Gründung, die nun wieder ein Kloster birgt. Zu
Sowjetzeiten wurden hier geistig behinderte Menschen isoliert.
Zur Besichtigung des Klosters setzten wir mit einem kleinen Schiff vom
großen Hafen zum kleinen Hafen in einer 20-minütigen Fahrt
über, wackere Wanderer konnten auch in gut einer Stunde zu
Fuß dahin gelangen. An der Landestelle wurden wir von der
netten Reiseführerin Natascha begrüßt. Da sie kein
Deutsch, dafür aber Finnisch und Englisch konnte, übersetzte
unsere Olga vom Schiff alles für uns. Wir sahen den
nördlichsten russischen Garten, der uns kümmerlich erschien,
auf den die Mönche jedoch besonders stolz sind, immerhin liegt
Walaam nördlich des 62 Breitengrades. Dann spazierten wir an den
Außenanlagen entlang und betraten schließlich das Innere
der Klosterkirche. Die Frauen mußten sich dazu mit Kopftuch und
einem Rock bekleiden, die von ebenso bekleideten, finster blickenden
Frauen verteilt wurden. Auf Fotos habe ich aus Gründen der
Pietät verzichtet. Im Inneren der Klosterkirche herrschte rege
Putztätigkeit von devoten Kopftuchfrauen. Zahlreiche Gläubige
ließen sich von den vielen Besuchergruppen nicht stören,
küßten die Heiligenbilder und beteten inbrünstig. Im
Klostergelände sahen wir orthodoxe Mönche, die ihrem
Tagesgeschäft nachgingen. Hier spürte man zu jeder Minute,
daß hier das neue Zentrum der Orthodoxie Rußlands ist. In
einer Nebenkapelle sangen vier Künstler der Gruppe "Kowtscheg"
beeindruckend schön altkirchliche, orthodoxe Choräle. Da sie
auch das "Mnogaja Leta" ("viele Jahre" - das traditionelle
Abschiedslied der orthodoxen Kirche) zum Schluß brachten, kaufte
Mutti eine CD dieses Quartetts. Mittlerweile haben wir den
Tonträger schon oft angehört und die schönen Stimmen
bewundert. Wir kehrten mit einem letzten Blick auf die schönen
Klosteranlagen zum kleinen Schiff zurück, das uns zum großen
Schiff zurückbrachte. Noch einmal fuhren wir an den zahlreichen
Inseln, auf denen Einsiedler und Mönche leben oder die unbewohnt
sind, vorbei und genossen den Sonnenschein und die herrliche
Landschaft. Während des Mittagessens nahm unsere "Lenin" wieder
Fahrt auf und tuckerte auf dem Ladogasee gen Süden. Am
späten Nachmittag liefen wir in den Swir ein, den Verbindungsfluß, der den
Ladogasee mit dem Onegasee, dem zweitgrößten See Europas,
verbindet. Anschließend gab es in der Tschaika-Bar auf dem 4.
Deck einen Willkommenstrunk und der Kapitän Wladimir Andrejew und seine Mannschaft stellten sich
vor. Als einzigen weiteren Namen merkte ich mir den Namen des
Schiffsarztes, Dr. Michail Gorbatschow (sic!). Zum Abendbrot stellte
sich uns unsere Dolmetscherin Vera vor. Sie teilte uns mit, daß
wir ab sofort zu der Gruppe 4 gehören und sie für uns
verantwortlich ist. Nun war Vera die Dolmetscherin mit dem
höchsten Alter, den meisten Goldzähnen und dem schlechtesten
Deutsch an Bord, wie wir ein paar Tage später noch leidvoll
erfahren sollten. Alle anderen waren junge und bildhübsche
Mädchen, die fließend Deutsch sprachen oder sie waren
wenigstens witzig wie Iren. Nach dem Abendbrot machten wir drei es
uns backbord auf dem dritten Deck gemütlich und verbrauchten
einige unserer selbst gekauften Bier- und Weinvorräte. Jeden Abend
konnte man sich wirklich nicht die überzogenen Preise der Firma
Orthodox antun (bspw. 12,50 EUR für eine Flasche Wein). Aber bei
unseren günstigen Getränken hatten wir so gute Laune,
daß sich die Nachbarn schon mokierten. Als es dunkel war, begaben
wir uns, wie immer, in die Balalaika-Bar und tranken noch einen
ukrainischen Pfefferwodka, mit 1,50 EUR das günstigste
Getränk an Bord. Nebenbei bemerkt trinken wir nur in
Rußland Wodka, weil das schließlich ein Muß ist.
Die Nacht verlief unruhig, passierten wir
doch nach Mitternacht unsere erste Schleuse (12 Meter wurden wir
angehoben), was mit verstörenden Geräuschen auf dem ganzen
Schiff verbunden war. Erst um 8:00 wurden wir von Iwan, dem jungen
Dolmetscher mit Zickenbart und Ohrring über Bordfunk geweckt.
Danach hörte ich über mir eine Herde Nilpferde durchs Schiff
stürmen. Des Rätsels Lösung: Dolmetscherin Iren machte
mit einigen Damen Frühsport im Art-Salon über der
Balalaika-Bar. Ein Blick aus dem Fenster zeigte eine herrliche
Holzanlegestelle und einen Ort im altrussischen Stil: Mandrogi Das Dorf
Mandrogi wurde im 2. Weltkrieg total zerstört und war bis 1994
völlig verlassen. Dann kam ein findiger Geschäftsmann auf die
Idee, das Dorf als Touristenattraktion wiederaufzubauen und dort junge
Handwerker und Künstler anzusiedeln. Wir sollten mittags bei
Volksmusik über offenem Feuer gegrilltes Schaschlik bekommen. Nun
machte uns an diesem Vormittag der einzige Dauerregen der ganzen Reise
dieses Ereignis zunichte. So richtig böse war offensichtlich
niemand, weil solch ein Konsumterror offenbar niemandem
gefällt. Zwei Sachen von Mandrogi sind noch
erwähnenswert: Wir besuchten dort ein Wodkamuseum mit 2.976 Sorten
Wodka, der in allen Formen, Farben und Verpackungen gezeigt wurde. Dort
erwarb Mutti eine Flasche Pfefferwodka für 16 Euro. Die andere
Sache ist dagegen aber echt wichtig: In der Post des Dorfes stand ein
Rechner. Diesen durfte ich für 7 Rubel/Minute (20 Cent) benutzen.
Das antike 28.800er Modem in Schuhkartongröße hätte das
Fräulein gar nicht anschleppen und anschließen müssen.
Ich braucht nur den Chipkartenleser und den Brenner. CD-Rohlinge gab es
zum Apothekenpreis von 5 Euro (175 Rubel) an der Kasse. So schnell das
russische WiXP und das englische Nero mit kyrillischen Dialogboxen es
zuließen, sicherte ich meine Chipdaten auf den Rohling,
verifizierte die geschriebenen Daten und hatte dann zum Gesamtpreis von
ca. 10 EUR eine funktionierende CD und einen leeren 512-MB-Chip SD. Was
ein solcher Chip dort gekostet hätte, wage ich in Anbetracht der 5
Euro/CD nicht mal zu denken. Ich sah nur einen CompactFlash 128 MB,
für den man 150 EUR berappen sollte. Das zum Mittagessen servierte
bleiche, küchengedünstete Schaschlik war wirlich keine
Hommage an die russische Kochkunst. Am Nachmittag klarte es auf und ich war
die ganze Zeit draußen und nahm den Anblick der einsamen Ufer und
unbesiedelten Weiten der nordrussischen Landschaft in mich auf.
Immerhin war aber auch eine Eisenbahnbrücke zu erblicken, in
diesen Gegenden eine Seltenheit. Mutti und Christa gingen zum
Russischlernen, andere sangen und tanzten im Art-Club, doch ich stand
draußen und genoß jede Sekunde, die mein Auge Wasser und
Landschaft erblickte. Genau das reicht mir prinzipiell für einen
Urlaub. Für abends um 6 Uhr hatten wir uns Karten für
eine Wodkaprobe besorgt. So trafen wir uns in der Tschaika-Bar und
bekamen bei Matjeshäppchen, Fettschnittchen und Gurke fünf
Sorten Wodka vorgestellt. Dazu gab es mehr oder weniger witzige
Geschichten über der Russen Lieblingsgetränk, die
natürlich mit steigendem Pegel immer lauter und begeisterter
belacht wurden. Ich besitze alle Witze, da Mutti sie sich von der
Moderatorin kopieren ließ; wer Interesse hat, dem erzähle
ich die Besten. Kurz nach dem Abendbrot kam die erste Schleuse, die wir
bewußt wahrnahmen, die erste hatten wir ja verschlafen. Nun sind Schleusen ja nicht so attraktive
Bauwerke und ähneln einander auch sehr, aber es ist schon
beeindruckend zu sehen, wie ein Trog, der 240 mal 27 x 8 Meter
groß ist, binnen weniger Minuten samt Schiff um 14 Meter steigt.
Mit Verlassen der Schleuse besserte sich auch das Wetter. Nun aber
raste das Schiff los mit aller Kraft, die die Motoren hergaben. Der
Grund, so teilte der Phoenix- Reiseleiter Alexander per Bordfunk mit,
war, daß sich hier bei dieser Wetterlage schnell
tückische Nebel bilden. Bei Nebel wiederum dürfen die Schiffe
nicht mehr weiterfahren und der Reiseplan gerät durcheinander.
Tatsächlich, keiner wollte es glauben, bildeten sich ruck zuck an
den Ufern undurchdringliche Nebeln, die bald die Sicht komplett
verhinderten. Die letzten Kilometer auf dem Swir kroch die MS "Lenin"
wie eine Schnecke und muaßte sich der Führung durch einen Lotsen
anvertrauen. Alle waren heilfroh, daß wir noch in der Nacht den
Onegasee erreichten und dort die Fahrt nebelfrei fortsetzen konnten.
Beruhigt gingen wir ins Bett.
Als ich am Morgen aus dem Fenster schaute, erwartete mich ein so toller Anblick, daß ich mich so schnell ich konnte, landfein machte und an Deck stürzte. Wir lagen bereits an der Landestelle der Insel Kishi, die besonders berechtigt, im Welterbe der UNESCO aufgeführt ist. Auf den Ausflug fiebernd nahmen wir unser eireiches Frühstück ein. Daß Nummer 2 nicht da war, störte uns nicht weiter, als sie jedoch überhaupt nicht erschien, wurden wir doch unruhig und beauftragten Vera, sich nach ihr zu erkundigen. Als sie endlich eilig und ungefrühstückt ankam, stellte sich heraus, daß die allseits untadelige Nummer 2 schlicht und ergreifend verschlafen hatte. Die nunmehr komplette Gruppe 4 wurde von einer sehr schönen, netten und versierten Dolmetscherin mit dem ebenso schönen Namen Anastasia in Empfang genommen und wir wanderten auf Holzplanken über den morastigen Boden zu der herrlichen, ganz aus Espenholz bestehenden Sommerkirche. Herrlich war auch das Wetter an diesem Tag, wolkenlos, 26 Grad und leichte Winde. Wir erfuhren, daß es solch herrliches Wetter da oben nur wenige Tage im Jahr gibt. Der Legende nach soll der Baumeister der Holzkirche nach Vollendung ihres Baus (1714)gesagt haben, daß es noch nie so eine schöne Kirche gab und nie wieder geben wird. Mit diesen Worten soll er die Zimmermannsaxt, mit deren ausschließlicher Hilfe dieser Prachtbau entstand, in den See geworfen haben. Tatsächlich wurde nur Holz beim Bau der Kirche verwendet. Und tatsächlich ist diese Kirche so schön, daß man spontan jauchzen möchte. Anastasia zeigte uns erst die kleine Kapelle, deren seltsames Glockenspiel uns berührte, erläuterte uns dann das Leben in einem Rauchhaus, zeigte uns Saunen und Wirtschaftsräume und, zu guter Letzt, auch noch die Winterkirche, die direkt neben der Sommerkirche steht. Man bekam einen guten Eindruck vom Leben der Menschen im hohen Norden (wir waren nördlich des 63. Breitengrades). Im Gegensatz zu manchen Schwarzwaldhütten und oberbayerischen Hütten, könnte ich mir vorstellen, daß es in so einem Rauchhaus durchaus auszuhalten wäre. Die Häuser waren nicht nur geräumig und praktisch, sondern auch mit Pfiff eingerichtet und boten durchaus den Komfort und Luxus, den man ganz gerne hat. Wer irgendwie die Chance hat, nach Kishi zu fahren, der nutze diese unbedingt. Hier erfährt man mehr über die russische Seele als in der Großstadt. Noch einmal zurück zum Glockenspiel, das ertönte in unserer Anwesenheit, gegen ein geringes Entgelt, mehrfach und wir hörten mehrere verschiedene Melodien heraus. Eine derartige, unverwechselbare Spielweise hatte ich bis dato noch nie gehört. Anastasia, alle schlossen sie ins Herz, stammt aus Murmansk, wo es im Winter dank des Golfstromes nur minus 12 Grad wird und nicht wie auf Kishi minus 20. Sie ist 23 und ab nächstes Jahr diplomierte Germanistin und hat schon eine Anstellung als Reiseführerin sicher. In Kishi lebt sie mit einigen anderen Reiseführern während der Semesterferien. Insgesamt wohnen permanent 60 Menschen auf der Inselgruppe, im Sommer 120. Betrübt, dieses herrliche Ensemble schon verlassen zu müssen, gingen wir zum Schiff zurück. Interessenten können bei mir gerne mehr zu dieser Insel und ihren Bauwerken erfragen, ich habe einiges an Material mitgebracht, welches ich an den überall vorhandenen Buden kaufte. Dort gab es selbstverständlich auch Postkarten, von denen ich 10 Stück kaufte. Dann kehre ich aufs Schiff zurück. Da mir niemand meiner Bekannten folgt, gehe ich in die Bar, um, nein kein Bier, sondern um 8 Ansichtskarten an Freunde zu schreiben. Mal schauen, welche Karten wann eintreffen. (Anmerkung: Mittlerweile trudelten die ersten Ankunftsmeldungen ein. (Die erste am 19.08.05.)). Die Damen verlustieren sich mittlerweile an den Ständen, kaufen Wein u. a. ein, trinken Kaffee u.ä. und wundern sich, wo ich stecke. Endlich wiedergefunden kläre ich sie auf und wir schlendern zum Mittagstisch. Am Nachmittag durften wir gruppenweise zu einer kurzen Führung auf die Brücke des Schiffes. Wir bestaunten die Unmenge an Schaltern und Hebeln, genossen die prächtige Aussicht auf den See und lauschten den Ausführungen des Kapitäns. Auf dem See können sich schon einmal 4 Meter hohe Wellen bilden, das Flußschiff kann aber nur 2-Meterwellen verkraften. Beruhigend zu wissen, daß wir nur maximal 80 Zentimeter hohe Wellen hatten. Die Damen gingen zum Russischunterricht und ich lümmelte wieder an der Reling. Gegen Abend verließen wir den majestätisch daliegenden Riesensee und fuhren in den Wytegra-Kanal ein, der Teil des Wolga-Ostsee-Kanals ist und uns auf 6 Schleusenstufen um 76 Meter auf 112 Meter über Null anhob. Bevor das aber begann, hatten wir um 18:00 Uhr in der Tschaika-Bar "Happy Hour". Einige Getränke waren doch tatsächlich um 0,50 EUR gesenkt und damit aber immer noch zu teuer. Dennoch saßen wir oben und genossen die Aussicht. Plötzlich tauchte mitten im Wasser ein riesiges Gebäude auf, das aber schon deutlich Ruinencharakter hatte. In Kürze wird das Gebäude für immer im Wasser versunken sein, vielleicht gehören wir mit zu den letzten Reisenden, die es erblicken konnten. Während des Abendbrotes passierten wir die erste Schleuse, diesmal im Verein mit der "Alexander Puschkin", die sich mit uns die monströse Schleusenkammer teilte. Die nächsten beiden Schleusen bekamen wir noch im Hellen beim Draußen sitzen und Quatschen mit, die anderen hörten wir nur noch vom Bett aus und sie hielten uns durchaus vom Schlaf ab.
Nach Morgentoilette und
Frühstück nehmen wir das Angebot von Dolmetscherin Shenja
wahr und lassen uns von ihr in der Tschaika-Bar über die Situation
der Religionen in Rußland informieren. Shenja weiß sehr gut
Bescheid und antwortet auch auf unangenehme Fragen souverän.
Wieder lernen wir etwas Wichtiges hinzu. Über 70 verschiedene
Religionsrichtungen sind in Rußland vertreten und koexistieren
friedlich miteinander. Mehr als 60 % aller Gläubigen gehören
der russisch- orthodoxen Glaubensrichtung an. Man fragt sich, wo diese
nach über 70 Jahren Sozialismus alle herkommen. Staat und Kirche
sind streng getrennt. Die Kirchen finanzieren sich ausschließlich
über Spenden. Kleine Anekdote am Rande: Russische orthodoxe
Geistliche haben zwei Arten Gewänder. Weiß tragen
diejenigen, die kein Zölibat ablegten. Sie können heiraten
und auch Kinder haben. Die schwarz gekleideten Geistlichen hingegen
haben das Zölibat abgelegt. Nun gestattet es der Glaube, daß
man wechseln darf und das auch in beide Richtungen. Insofern hat es der
russisch- orthodoxe Priester leichter als der katholische. Nun
weiß man, daß sich das Oberhaupt der russisch- orthodoxen
Kirche, Patriarch Aleksij, und das Oberhaupt der römisch-
katholischen Kirche nicht so grün sind, denn beide betrachten sich
selbst als einzig legitimen Nachfolger des untergegangenen
Konstantinopel. So hat es in den letzten Jahren nie auch nur eine
Begegnung oder gar Einladung der beiden Kirchenoberhäupter
gegeben. Natürlich stellte ein Gast der armen Shenja die
verzwickte Frage, ob der Patriarch denn mal Benedikt XVI. nach Moskau
einladen würde und wie es mit den Beziehungen beider Kirchen
aussähe. Daraufhin antwortet sie schmunzelnd, daß die
Beziehungen dann gut würden, wenn die Katholiken eine Päpstin
wählten und der Patriarch ein weißes Gewand anzöge...! Wir sind immer noch auf dem Wasser
unterwegs. Wir hatten den Wytegra-Kanal mit seinen sechs Schleusen und
den Wasserscheidekanal passiert. Diese Strecke darf das Schiff
nur mit maximal 8 km/h durchschleichen, damit die Uferbefestigungen
nicht allzusehr leiden. Tatsächlich kann ich beobachten, wie
zerstörerisch und aufmüpfig sich die Wellen verhalten. Nun
befahren wir den Kowzha-Fluß, der in den riesigen Weißen
See mündet, ein sehr großer Stausee. Auf diesem See liegen
bei seinem Übergang in die Scheksna ca. 50 Schiffe wie auf die
Perlenkette gereiht und warten geduldig auf ihre Weiterfahrt und
Durchschleusung. Passagierschiffe haben Vorfahrt, sind Passagiere doch
zeitkritischer als Öl, Holz, Sand und das andere Zeug, was diese
Schiffe so transportieren. Beinahe verpassen wir die versunkene Kirche,
die, seit der Kanal das Wasserniveau anhob, mitten im Wasser an der
Scheksna-Mündung steht. Nun essen wir zu Mittag, während
links und rechts an den Ufern gemächlich die wohl schönste
Landschaft unserer Reise dahin gleitet. Echte Urwälder,
undurchdringliche Mischwälder, die höchstens von
Wildtränken unterbrochen werden. Keinerlei Hochspannungsmasten und
andere Zeugnisse menschlichen Wirkens, vor allem aber - keine
Windkraftwerke, die mittlerweile flächendeckend Deutschland
verschandeln - sind zu sehen. Unsere Nummer 2 macht sich am
Mittagstisch noch unbeliebter, indem sie einfach herrisch über das
von unserem Servierschaf Olga gelieferte Essen bestimmt und sowohl bei
der Vor- als auch der Hauptspeise Christas Essen wegfrißt. Sie
besitzt nicht einmal den Anstand, sich dafür zu entschuldigen.
Gegen 13:00 Uhr tauchen wieder Kuppeln auf, wir sind in Goritzy
angekommen. Unsere hiesige Dolmetscherin heißt Nadja. Nadja zeigt und erläutert uns
ausführlich das Innere und Äußere des Kirill-
Beloserski- Klosters. Die Pracht und die Unmenge der Ikonen - hier sind
viele der bedeutendsten Ikonen Rußlands ausgestellt - beginnt uns
zu erdrücken. Aber auch das ungute Klima in den Räumen auf
Grund der Menschenmassen, die sich hier durchwälzen (im Sommer bis
zu 13.000 am Tag), macht vielen Besuchern Kreislaufbeschwerden.
Endlich draußen schöpfe ich am See Wasser, soll dieses doch
verjüngend wirken. Mal sehen, ob es etwas bringt. Die
Klosteranlagen sind sehr weitläufig und beeindruckend, da sie
neben den Kirchen auch trutzige Festungen haben und ganze Wohnanlagen
beherbergen. Auch hier lerne ich viel über das alte Rußland
kennen. Nadja berichtet von 250 Bären, die in der Gegend siedeln
und läßt mich schmunzeln, als sie sagt: "Vegetationsperiode
ist bei uns: Juli". Auf der Rückfahrt bekommen wir noch einen
phantastischen Blick auf dieses schöne Fleckchen Erde. Wie wir im
Bus erfahren, ist dieses Gebiet bekannt für seinen Flachsanbau und
tatsächlich biegen sich vor der Anlegestelle die Ladentische mit
Leinentischdecken und schönen Klamotten. Da hier auch viel
Kleinwild gejagt wird, liegen auch deren Pelze im Dutzend herum.
Christa, der es ein schickes Nerzcape angetan hat, und Mutti fangen an
zu wühlen. Ich gehe an Bord und in die Balalaika-Bar, um, richtig,
um diesmal ein Bier zu trinken. Aber auch diesmal habe ich noch Zeit
für eine Postkarte, die für die Nachbarn bestimmt ist und
mittlerweile (25.08.2005) auch eintrudelte. Irgendwann trudeln auch die
Damen ein. Als wir uns an Bord treffen, muß ich auf Befehl stehen
bleiben. Christa und Mutti rennen in ihre Kabinen und kehren zeitgleich
mit, ... voila! den gleichen Ponchos bekleidet zurück. Nachdem ich
die wirklich schönen Kleidungsstücke an Beiden gebührend
bewundert habe, gehen wir an Deck und winken Goritzy beim Ablegen noch
ein letztes Mal zu. Christa bedauernd: Ach, hätte ich doch den
Nerz gekauft!" Weiter geht es auf der Scheksna durch den
romantischen, menschenleeren russischen Urwald. Am Abend wirft die
Sonne tolle Farbspiele auf die beiden Schleusen, die wir passieren
müssen, um in den Rybinsker Stausee zu kommen, ein See, der mit
seiner Ausdehnung von mehr als 200 mal 50 Kilometern auch beinahe als
kleines Meer durchgehen könnte. An den Schleusen sehe ich
übrigens das erste Mal bewußt Schmierereien an den
Betonwänden, eine westliche Untugend, die sich hoffentlich nicht
so stark in diesem Land etablieren wird. Christa war recht kaputt und
wollte sich bis zum Abendessen. Dummerweise hatte sie vergessen,
daß sie um 18:00 Uhr die Weinprobe geordert hatte. Seufzend zog
sie sich um und war dann recht enttäuscht von der Veranstaltung,
die wir wohlweislich nicht gebucht hatten. Mutti war an diesem
Dienstag übrigens beim Schiffsarzt und ließ sich ihre
Rheumaspritze verabreichen. 10 Euro verlangte Dr. Gorbatschow
dafür, aber das beinhaltete schon Spritze 2 für den
09.08. Beim Schlendern durch das Schiff vor dem Abendbrot werde
ich von den jungen Dolmetscherinnen angesprochen, ob ich nicht am Abend
in der Tschaika-Bar als Akteur beim Märchenabend mitwirken
möchte. Dankend verzichte ich und traue mich deswegen auch nicht,
als Gast dem Abend beizuwohnen. Mutti tat es aber und berichtete noch
Tage später, Tränen lachend, von dem Bäuerchen und der
Rübe und den Gänseschwänen und was weiß ich noch
für Sachen. Ansonsten verging der Abend wieder ruhig. Wir
saßen solange draußen, bis die Nachtkühle uns zum
Pfefferwodka trieb. Diesen nahmen wir an einem Tisch ein, der schon von
einem Ehepaar aus Fallingbostel besetzt war. Man soll sich eben doch
vom ersten Eindruck leiten lassen. Die Leute sahen aus wie Alt-68 und
so war es dann auch. Wir erduldeten eine knappe Stunde dummes Gerede
über Themen und Politiker, die wir sonst nicht einmal mit der
Kneifzange anfassen würden. Als die Fallingbosteler endlich weg
waren, ging auch Mutti entnervt. Vom Nachbartisch kam die spontane
Mitleidsbekundung einer Dame. Sie wohnt in Ludwigshafen und hatte ihren
Mann, der immer sehr mufflig wirkte und so gar nicht zu ihr
paßte, nicht dabei. Bis zur Schließung der Bar haben wir
uns noch anregend unterhalten und damit das unerfreuliche vorherige
Gespräch vergessen.
Am Mittwoch dürfen wir bis 8:00 Uhr
schlafen. Diesen Morgen faulenzen wir. Die einzig wichtige
Amtshandlung wäre das Buchen der Ausflüge für Moskau,
was insofern entfällt, als Mutti und ich kein einziges Angebot
wahrnehmen wollen. Die erste Abwechsung des Vormittags bietet der
Programmpunkt Frühschoppen, der ab 11:30 auf dem Sonnendeck
gereicht wird. Christa und ich finden, daß zuviel Gedränge
herrscht und so gehen wir wieder zu unserem Stammplatz auf Deck 3, um
uns von der Balalaika-Bar ein Bier kommen zu lassen. Dummerweise
müssen die Kellner Sergej und Andrej aber oben beim Kellnern
aushelfen, so daß kostengünstiger meine privaten
Biervorräte dezimiert werden. Wir verlassen den Rybinsker Stausee
durch eine gewaltige Schleuse, in der unser Schiff richtig klein
aussieht und sind nun auf dem "Mütterchen" Wolga, dem
größten europäischen Fluß mit mehr als 3500 km
Länge und dem bedeutendsten Fluß Rußlands. Wieder
gleiten einsame Ufer zu beiden Seiten dahin. Doch sind diese nicht nur
mit Wald bestanden, sondern bieten auch mit Wiesen und Feldern
Abwechslung für das Auge des Betrachters. Bis zu einem Kilometer
breit strömt der Fluß gemächlich dahin, das Wasser
benötigt durch die vielen Aufstauungen nun 700 Tage von der Quelle
bis zur Mündung. Leider bietet diese Flußveränderung
die Lebensgrundlage für hochgiftige Algen, die auch ab und an zu
sehen sind. Gelegentlich zieren auch Holzhäuser und Kirchen die
Ufer. Gegen 15:00 Uhr kommen wir in Jaroslawl an. Diese mir bis dahin völlig unbekannte
Stadt ist eine Perle Rußlands. Mit fast 1000 Jahren ist sie die
älteste Stadt an der Wolga. Namenspatron und Gründer ist
Jaroslaw der Weise, der an dieser Stelle einen Bären tötete,
welcher seitdem das Wappen der Stadt ziert. Gruppe 4 bekommt Juri als
Stadtführer zugeteilt. Juri kann kein deutsch, unsere Vera, wie
wir jetzt entsetzt feststellen, auch nicht so toll. Die Führung
ist optisch schön, akustisch eine Zumutung. In der Kathedrale des
heiligen Elias, nach der Besichtigung der Ikonostase, die zu Recht als
eine der schönsten gilt, fliehen wir das erste Mal und
verzichten sogar auf den Gesang. Dann haben wir etwas Zeit, um im
Stadtzentrum zu bummeln. Wir identifizieren eindeutig Russenmafia
(2 sehr junge Männer, die selbstsicher aus einem voll
verspiegelten 100.000-Euro-BMW klettern, den sie im Halteverbot so
parken, daß die Fußgänger, auch Mutti und Christa, zur
Seite springen müssen) und sehen alte Frauen, die schnöde
Plastetüten verkaufen wollen. Ich tausche Geld, damit wir uns
einen Kaffee leisten können. Beim nun folgenden Klosterbesuch
schützt Mutti Übelkeit vor und wir drei entkommen den
gestotterten Erklärungen zu Ikonostasen, die wir auch langsam
nicht mehr sehen können. Wieder einmal freuen wir uns über
unsere Einzelvisa, mit denen wir frei durch die Stadt schlendern
können. Wir werden gleich belohnt mit einem Hochzeitspaar, das ein
zu restaurierendes Glockenspiel bedient. Der Bräutigam war
deutlich mehr an den Glocken denn an seiner wunderschönen Braut
interessiert. In einem Buchladen erstand ich den "Kleinen Prinzen"
(malenkij Prinz) und wir liefen gemütlich die kurze Strecke zur
Anlegestelle zurück. Jaroslawl hat viel Charme und die Menschen
wirken aufgeschlossen und lebensbejahend und sind sehr gepflegt und
elegant. Rundum zufrieden waren wir sogar so mutig, mit Nummer 2 auf
dem Sonnendeck ein Glas Sekt zu trinken, zu dem sie uns
schockierenderweise am Mittagstisch eingeladen hatte. Wieso Phoenix
gerade ihr eine Flasche Sekt ins Zimmer stellte, blieb uns ein
absolutes Rätsel. Draußen war es so schön, daß
wir die Attraktion des Abends, eine Tanzshow in der Tschaika-Bar, nur
dadurch mitbekamen, daß gut gekleidete Tänzer sich keuchend
neben uns ausruhten. Schon beim Abendessen gab es in der Nähe
lokale Schauer, so daß sich herrliche Regenbögen bildeten.
Dieser Anblick wurde nur durch die Tatsache getrübt, daß der
von mir erworbene Granatapfelsaft sich als klebrig- ekliges Zeugs
entpuppte, anstatt die Delikatesse zu sein, von der ich seit 1983 so
oft träume. Wieder beschlossen wir den Abend in bewährter
Weise in der Balalaika- Bar.
Mittlerweile hatte man etwas Routine: Aufstehen, Körperpflege, eireiches Frühstück, in der mittlerweile von Olja aufgeräumten Kabine landfein machen, Sonnenbrille, Fotoapparat, links die Rubel, rechts die Euro, Schlüssel an der Rezeption gegen Bordkarte eintauschen und dann raus zu den Bussen. Christa und Mutti saßen schon in Bus 4, vor dem auch schon die leidige Vera lauerte. Ich drängte auf Buswechsel, um dem Radebrechen Veras zu entgehen, aber die Anderen waren zu bequem. Das stellte sich als Glücksgriff heraus, denn unsere Begleiterin Tamara sprach prächtiges deutsch und bereicherte unser Wissen über Land und Leute mit Witz, Niveau und viel Charme. Der Bus fuhr aus dem Jaroslawler Zentrum heraus in die Industriezone, in der "Jarpiwo" gutes Bier mit deutschen Anlagen braut und eine gigantische Erdölraffinerie sich kilometerlang dahin zieht. Weiter ging es auf eine Autobahn, die nur wenige Dörfer in meist erschreckend zurückgebliebenem Zustand streifte. waren. Ein alter Kamas-LKW lag umgekippt im Straßengraben und 2 Männer, die mit einem Ersatzlaster ankamen, beäugten das Unglück. Wälder und Felder flogen an uns vorbei, der Busfahrer gab gut Gas und recht bald waren wir im 60 Kilometer entfernten Rostow Weliki (dem großen Rostow) eingetroffen. Dort besichtigten wir den Rostower Kreml, eine wunderschöne und sehr gepflegte Bauanlage. Als erstes betraten wir mit der hiesigen Führerin Irina die Erlöserkirche. Dort erwarteten uns nicht die mittlerweile oft gesehenen Ikonostasen, sondern riesige Fresken. Die gewaltige Kirche mit imposanten Akustikllöchern beeindruckte durch ihre prächtige Wandbemalung. Auf einer Hauptwand, die wohl 17x24 Meter oder mehr mißt, wird auf einem einzigen Bild die gesamte russisch- orthodoxe Kirchenlehre sinnhaltig und einprägsam dargestellt. Wir lauschten gebannt der Museumsführerin, die mittels Laserstift einzelne Darstellungen und deren Bedeutung erläuterte. Am besten fand ich die Bestrafungen für Sünder, die ziemlich drastisch demonstrierten, was dise in der Hölle erwartet. Nach kurzem Verarbeiten der Eindrücke gingen wir ins benachbarte Museum, das einige bedeutende Malereien enthält. Mutti konnte sich gar nicht von einem Bild losreißen, welches ein Schüler Ilja Repins gemalt hatte und dem Meister auch im Stil sehr nahe kam und Wolgatreidler darstellte. Die Abteilung des Museums, die sich mit der Sowjetzeit beschäftigte, mieden wir geflissentlich. Nun gab es im Restaurant des Kreml ein endlich mal wohlschmeckendes Mittagessen, bei dem wir nur nicht ganz sicher waren, ob man das Hauptgericht aus dem Töpfchen löffelt oder es vorher auf den Teller legt. Bei einem kleinen Verdauungsspaziergang auf dem Kremlgelände betrachteten wir noch den gewaltigen Glockenturm und zwei weitere prunkvoll ausgestattete Kirchen, die der ersten allerdings stark ähnelten. Der letzte Programmpunkt innerhalb der Anlage war der Besuch des Email- und Glockenmuseums. Rostow war und ist der größte und bedeutendste Herstellungsort von Emaille (Finift). Die Zeugnisse handwerklicher Kunst konnten wir nun bewundern. Besonders gefielen mir die Malereien, die an schwarz- weiß- Photos erinnerten und eine Tafel, die einen Kalender aus Emaille enthält, auf dem sämtliche Namenspatronen in personae abgebildet sind. Obwohl die Figuren winzig sind, konnte man an ihnen deutlich sehr viele Details entdecken. Abschließend wanderte unsere Truppe durch einen reizvollen Garten an windschiefen Holzhäusern vorbei zu einem See, von dem aus sich ein schöner Blick auf die Gesamtanlage und auch auf das nahegelegene Kloster bot. Zu diesem Kloster machten die Busse noch einen kurzen Abstecher. Wir 3 verzichteten auf einen Besuch der Klosteranlagen. Schon an der Bushaltestelle, aber auch hier befanden sich einige Stände, an denen vielfältige Erzeugnisse der lokalen Emailhersteller angeboten wurden. Mutti suchte sich eine wunderschöne Halskette aus und Christa erstand neben einer Kette eine todschicke Sprungdeckeluhr mit Emailarmband. Wir nahmen Abschied von Rostow Weliki, das uns allen besonders gur gefallen hatte und fuhren die gleiche Straße wieder zurück nach Jaroslawl. Tamara, unsere Reisebegleiterin, erzählte mit Charme, Witz und auch einem Hauch Wehmut aus dem russischen Leben. So erfuhren wir sehr viel über Renten, Verdienste und die vielen Tücken, die heutzutage die Lebensumstände eines russischen Menschen ausmachen. Am besten gefiel mir an Tamara, daß sie ein freidenkender Mensch ist, der sich eine kluge und eigenständige fundierte Meinung über alles gebildet hat und diese auch ohne Verbiegungen vertritt. Während alle Tamara lauschten, die unsere Fragen beantwortete, sah ich den gleichen umgestürzten LKW am gleichen Platz liegen. Auch die anwesenden Männer hatten sich nicht wesentlich in ihrer Position verschoben. Damit hatte ich ja nun gar nicht gerechnet. Sehr amüsiert hat mich auch das Straßenschild, auf dem die Entfernungen zur nächsten großen Stadt stehen: Archangelsk - 1049 km, Jaroslawl - 34 km. Ja, Rußland ist ein gewaltiges Land. An Bord zurückgekehrt machten wir uns rasch frisch und fuhren dann in das Erlöser- und Verklärungskloster, um dort einem Chorkonzert beizuwohnen. Mutti zog starke Aufmerksamkeit auf sich, da sie mit ihrer neuen Emailkette und dem eben vor dem Schiff gekauften Leinenoberteil superschick aussah. Kaum haben wir Platz genommen, da betritt auch schon der Chor die - ohne Ikonostase - sehr schön und schlicht eingerichtete Kirche. Es bauen sich 28 Frauen und 12 Herren des Chores "Glas" (deutsch: Stimme) auf und die Leiterin bittet darum, zwischen den Liedern nicht zu applaudieren. Meine Enttäuschung über einen gemischten Chor hält exakt bis zum ersten Ton an, als dieser eindrucksvoll erklingt. Es folgt eine dreiviertel Stunde so atemberaubend schöner Musik, daß ich nicht in der Lage bin, das in Worte zu fassen. Bei einem Lied singt die Solistin so herrlich, daß niemand im Publikum auch nur wagt, den Hauch eines Geräusches zu machen. Irgendwann strömen auch überall Tränen der Seligkeit und keiner schämt sich. Das Attribut dieses Konzertes kann nur lauten: "perfekt". Mutti kauft eine CD, die mittlerweile auch schon oft gehört und für sehr hörenswert befunden wurde und wir kehren anschließend an Bord zurück. Während des Abendessens kaufen Nummer 2 und Christa Lose für die Tombola. Anschließend sitzen wir üblichen Drei mit einem netten Ehepaar an der Mole und genießen das einheimische Jarpiwo. Vom Naschen am Schaschlik, der verführerisch duftend neben uns gegrillt wird, nehmen wir Abstand, ist doch das Toilettenhäuschen ungeschickt in zu direkter Nähe aufgebaut. Um 22:00 Uhr wird es frisch und wir gehen an Bord. Das müssen wir ohnehin, denn um 23:00 legt unser Schiff ab und fährt weiter Richtung Osten, für mich eine Überraschung, da diese Route nicht auf der herrlichen Karte, die ich täglich mehrfach studiere, eingezeichnet ist. Allerdings kommen wir nicht weit, denn nach wenigen Kilometern läßt die MS Lenin mitten auf der Wolga die Ankerketten rasseln. Der Aufenthalt ist technischer Art, wie ich gegen Mitternacht bei einem Spaziergang sehe und rieche. Wir fassen schlicht und ergreifend nur Kraftstoff an der monströs großen Erdölraffinie von Jaroslawl.
Durch die nächtlichen Geräusche fühlten sich zahlreiche Passagiere gestört. Ich hörte natürlich nichts und stand ausgeruht um 7:00 Uhr auf. Noch während des Frühstücks legte unser Schiff in Kostroma an, unserem östlichsten Reisepunkt. Kostroma liegt in etwa auf dem gleichen Längengrad wie Mekka. Noch vor wenigen Jahren war Kostroma auf keiner Landkarte zu finden, wurden doch dort die sowjetischen Atomraketen gebaut. Nun entblättert sich diese Stadt wieder in ihrer ganzen Schönheit. Heute ist Kostroma auch ein Zentrum der Textilindustrie, was wir unschwer an den Ständen an der Anlegestelle erkennen konnten. Wir fuhren mit einem kleinen Schiff zu einem, welche Überraschung, zu einem Kloster. Dem Ipatjewkloster genauer gesagt. Vorher sahen wir noch an der Mündung des Flusses Kostroma in die Wolga ein riesiges abgetrenntes Feld im Wasser, in dem das geflößte Holz schwamm, um an Land gezogen und vorgetrocknet zu werden. Kostroma ist nämlich auch ein riesiges Möbelbauzentrum. Selbst Ikea läßt dort bauen. Na ja, Holz gibt es dort nun wirklich im Überfluß. Wir legten an der Klosteranlage an, erblickten plötzlich unsere Dolmetscherin Iren und amüsierten uns über ihren treffsicheren Kleidergeschmack. Unsere Gruppe wurde von Oxana übernommen. Oxana ist gewitzt und berücksichtigt bei ihrer Führung, daß wir "ikonenmuede" sind. Als erstes gehen wir ins Innere der Kirche. Dort singt ein Chor für uns zwei herrliche Lieder und wir sind wieder mal ergriffen. Hatten wir schon altrussische Kirchenmusik von Mönchen und Künstlern und Chormusik vom Feinsten genossen, so boten uns die hiesigen Mönche eine Kostprobe russischer Volkslieder. Besonders das zweite Lied der Wolgatreidler ging mir an die Nieren, zumal die Kirche eine traumhafte Akustik bot. Nur Nummer 2, die leider zur Gruppe 4 gehört, fand die Stimmen "klirrend", alle anderen waren begeistert. In der folgenden Pause besichtigte ich die Familiengruft der Bojaren Godunow. Dann führte Oxana uns in das nebenan gelegene Freilichtmuseum, in dem wunderschön erhaltene alte Holzbauten zu bewundern waren. Das Wetter tat ein Übriges für einen perfekten Vormittag. Besonders gut gefiel mir eine kleine Kirche. Mutti beobachtete einen Mitreisenden, wie er mit seiner Kamera auf Motivsuche ging und schickte mich in seine Spur. Das Foto belohnt diesen kleinen Aufwand, es ist das schönste Bild geworden. Nach der Besichtigung brachte und der Bus und durch die Vorstadt mit vielen Gärten und über die Kostroma- Brücke in die Altstadt. Viele der Bauten erstrahlen momentan wieder im alten Glanz. Kostroma ist eine echte architektonische Perle. Nach dem Großbrand von 1773 wurde die Stadt nach von Zarin Katharina gebilligten Plänen fächerförmig angelegt und von so illustren Leuten, wie bspw. den Tretjakows, mit Palästen und riesigen Prachtbauten bebaut. Wenn ein Multimillionär nicht weiß, wie er sein Geld ausgeben soll, dann gehe er nach Kostroma, dort versickern sicher locker Abermillionen bei der Restaurierung der riesigen Bauten und Straßen. Wir halten am Standesamt an, aber nicht, um uns die zahlreichen Brautpaare anzusehen, sondern um kurz in das gegenüberliegende Frauenkloster, das der heiligen Jungfrau Maria gewidmet ist, zu schauen. Wieder herrschen Rock- und Kopftuchzwang für die Frauen, weshalb viele andere Mitreisende darauf verzichten. Auch beobachte ich, wie eine junge Nonne einen Mann, der kurze Hosen trägt, aus der Kirche scheucht. Mutti und Christa lassen sich von besagter Nonne, die überdies ungeniert in der Nase bohrt, nicht ins Bockshorn jagen und schleichen sich in den Innenraum. Ich bin adäquat gekleidet und schaue mir ungehemmt die Pracht im Inneren an. Sei es, daß wir schon so viel sahen oder daß diese Kirche besonders überladen war. Trotz allen Glanzes wirkte diese Kirche unsympathisch. Ich sah mir in Ruhe die alte, wunderschöne Ikone an, mit deren Hilfe, wie es heißt, im 13. Jahrhundert die Tataren vertrieben wurden und ging dann zurück zum Bus, der uns ins Zentrum brachte. Daß Kostroma eine bedeutende Stadt ist, wurde einem spätestens hier klar. Die Bauten, die ebensogut Schinkel erbaut haben könnte, sind überaus beeindruckend. Der auf den ersten Blick schönste Bau stellte sich als Spritzenhaus der Feuerwehr heraus. Daran kann man sicher erahnen, was ich meine. Wir schlendern auf den riesigen Marktplatz, auf dem es zugeht wie auf einem Basar. Tatsächlich sehe ich auch sehr viele Tataren, die diesen Eindruck verstärken. Auf Grund der zahlreichen Wespen fliehen Christa und ich aus dem Getümmel und versuchen, vergeblich, Wodka zu kaufen. Vom Treffpunkt aus, dem zentralen Platz der Stadt, geht unsere Gruppe 4 am Denkmal Iwan Susanins vorbei. Dieser Bauer rettete dem Zaren das Leben, indem er die Polen, die dem Zaren nach dem Leben trachteten, im Sumpf in die Irre führte. Er wurde deswegen von den Polen ermordet. Zar Michael I, der später davon erfuhr, entließ dafür Susanins Familie aus der Leibeigenschaft. Dann kommen wir in einen Teil der Stadt, der mich maßlos erstaunt. Die dortigen Arkaden sind gigantisch und scheinen endlos in alle Richtungen zu verlaufen und lassen heute noch die Bedeutung der Stadt als eines der wichtigsten russischen Handelszentren erkennen. Dagegen wirken die Arkaden in München oder Leipzig einfach nur wie David gegen Goliath. Der Bus bringt uns rasch die wenigen 100 Meter zurück zur Anlegestelle und endlich können Christa und Mutti sich an den zahlreichen Ständen austoben, die fast alle einheimische Leinenprodukte anbieten. Ich gehe kurz aufs Schiff, um mich sommerlicher zu kleiden und beschließe, daß bei dieser andauernden Hitze ein Leinenhemd genau das Richtige für mich wäre. Mutti und Christa haben schon ein paar Sachen erworben und tatsächlich finden wir auch für mich ein feines Leinenhemd, das in dieser Qualität in Deutschland, wenn überhaupt zu haben, sicher das Sechsfache gekostet hätte. Während des Mittagessens legt die MS Lenin ab und fährt nun die Wolga wieder flußaufwärts Richtung Westen. Die folgenden Stunden scheinen mir die wohl schönsten gewesen zu sein. Gemächlich fließt der mächtige Strom dahin, an den weiten Ufern sieht man ab und zu Spaziergänger, wilde Camper und Angler. Ansonsten gibt es Landschaft pur, das Wetter verwöhnt uns und ich genieße jede Minute in vollen Zügen. Gegen 18:00 Uhr passieren wir wieder Jaroslawl und nehmen mit wehmütigen Blicken endgültigen Abschied von dieser schönen Stadt. Einen herrlichen Sonnenuntergang erleben wir schon im Oberlauf der Wolga, den Rybinsker Stausee haben wir nur kurz im Südosten gestreift. Ein weiterer, nahezu perfekter Tag geht zu Ende. Das kann uns auch der in der Bar gereichte Pfefferwodka nicht vergällen, den wir protestierend zurückgeben. Er schmeckt und riecht tranig. Wir bekommen aber einen alternativen Wodka und später noch einen aus der neuen Flasche und die Welt ist wieder in Ordnung.
Bereits um 6:45 Uhr werden wir heute
geweckt. Während des Frühstücks legt unser Schiff in
Uglitsch an und wir sehen die prächtigen Anlagen des Uglitscher
Kreml in Sichtweite vor uns. Heute brauchen wir keinen Bus, denn man
kann in wenigen Minuten hinlaufen. Allerdings muß man an mehr als
einhundert Verkaufsbuden vorbei, die den Weg zu den Anlagen
flächendeckend säumen. Nach der ersten Ikonostase mit den
ältesten, wichtigsten, bekanntesten, oder
wasweißichfürwelchen Ikonen aus dem Jahre X vom
Künstler Y verkrümele ich mich in das Hauptschiff der Kirche,
wo wiederum ein Chor singt. Ich locke schnell noch Christa und Mutti
von unserer Truppe weg. Im Gegensatz zu den Ikonen wird uns der Gesang
nie zuviel und wir genießen die herrlichen Männerstimmen.
Wie Christa im Spaß empört meinte, muß offensichtlich
jeder Russe eine vollendete Gesangsausbildung erhalten haben. Die
gewonnene Freizeit nutzen wir, um uns an den endlosen Reihen der
Stände ausführlich die Waren anzuschauen. Hier mußte
wirklich jeder irgend etwas finden, so reichhaltig war die Auswahl. Ich
bekam für einen Freund, der begeisterter U-Bahnkenner ist,
ein T-Shirt mit dem aufgedruckten Gesamtplan der Moskauer Metro. Auf der Rückseite des Shirts steht
passend: "Nicht anlehnen", genau wie später in der U-Bahn selbst
an jeder Tür nachzulesen. Ferner erwarb ich noch ein paar
alkoholfreie Getränke, da sich mein Kühlschrank langsam
leerte. Mutti suchte lange an vielen Ständen und fand
schließlich schöne kleine Spiegel mit Emailbildern von
russischen Fürstinnen, die sie für die Mädchen der
Verwandtschaft kaufte. Die Mitbringsel für die Jungs fand sie an
einem Stand, an dem ein Künstler selbst gefertigte Okarinas
(Tonflöten) in lustigen und pfiffigen Formen verkaufte. Das
Interessante daran war, daß diese Okarinas 3, 4, 5 oder gar 6
verschiedene Menschen oder Tiere darstellten, je nachdem, wie man sie
drehte. Und alle gaben Töne von sich. Mutti wählte fünf
Stück ( 3 bis 5 Euro/Stück) aus und bekam noch einen Winzling
dazu geschenkt. Kurz darauf beschlossen wir, daß diese
Kostbarkeiten nicht in Kinderhände gehören und behielten
alle. Rückblickend stellen wir fest, daß wir ruhig noch 10
Stück mehr hätten kaufen können. Christa kam als letzte
von uns an Bord und präsentierte voll Stolz endlich eine
Nerzstola, deren Kauf sie sich in Goritzy versagt und dieses Versagen
seitdem täglich bejammert hatte. Sie hatte endlich auch die
Flasche Pfefferwodka, nach der sie seit Tagen suchte, erstanden. Ob wir
es schaffen, sie in den verbleibenden Tagen auszutrinken? Es sei an
dieser Stelle verraten, wir schafften es nicht. Das Schiff legt gegen
11:00 in Uglitsch ab und passiert die Schleuse zum Uglitscher Stausee.
Dieser See ist seltsam geformt. Er ist zwar über 140 Kilometer
lang, aber durchschnittlich nur 700 Meter breit und somit leicht mit
einem Fluß zu verwechseln. Nur die 10-15 Meter hohen Ufer
verraten, daß hier Mutter Natur geholfen wurde. Trotzdem ist auch
dieser Anblick sehr reizvoll. Da Wochenende ist und wir gen Moskau
fahren, sehen wir vermehrt Wochenendausflügler, Segler, Angler,
Spaziergänger und wilde Camper. Am späten Nachmittag legt das
Schiff plötzlich an einer Landestelle mitten in der Pampa an. Eine
Frau mit Gitarre kommt ans Ufer gerannt und beginnt Lieder zu singen.
Die ihr von Bord zugeworfenen Geldstücke sammelt sie zwischen den
Liedern eifrig ein. Könnte das eine Geschäftsidee für
eine ICH AG sein? Ich frage den Phoenixreiseleiter Alexander, was denn
dieser Halt bedeute. Mir wird, wie auch kurz darauf per Durchsage den
anderen Passagieren, erklärt, daß die Abwassertanks bis zum
Flußhafen in Moskau versiegelt werden müssen, da die Moskwa
und der Moskwa-Wolga-Kanal für die Trinkwassergewinnung der
10-Millionenstadt eine wichtige Rolle spielen. Ich sehe auch einige
Matrosen, die Müllsacke vom Schiff in die an Land stehenden
Container schaffen. Nach diesem technischen Halt zur letzten
Abwasserbeseitigung und Müllentsorgung vor Moskau geht die
Flußreise in ihre letzte Etappe. Als erstes biegt die Wolga nach Westen ab
und wir betreten per Schleuse den Moskwa-Kanal. Fünf Schleusen
stehen uns noch bevor. Sie werden uns noch knapp 40 Meter nach oben bis
auf 162 Meter über Normalnull anheben. Bei der Tombola am
Nachmittag, die Mutti und ich nicht mitmachten, gewann Christa ein
Lackschälchen,. Nummer 2 hingegen bekam schon wieder eine Flasche
Sekt , obwohl sie Alkohol gar nicht mochte. So ein Skandal! Wenigstens
schenkte sie die Flasche den Mädels am Souvenirstand und kam
glücklicherweise nicht auf die Idee, sie mit uns trinken zu
wollen. Vor dem Abendessen gibt es den Abschiedscocktail in der
Tschaika-Bar, da ja am morgigen Tag die Flußfahrt schon zu Ende
ist. Bemerkenswert ist ein Passagier, der dem Kapitän auf russisch
im Namen aller Mitreisenden dankt und diesem damit ein seltenes
Lächeln ins Gesicht zaubert. Nach dem Abendbrot stimmen wir unsere
Pläne für Moskau ab und genießen wiederum die
schöne Luft und das schöne Wetter. Eine Dame spricht mich an,
ob es mir wohl etwas ausmachen würde, sie am Folgetag auf meine
geplante Metrotour mitzunehmen. Selbstverständlich habe ich nichts
dagegen, hatte ich sie und ihren Mann doch schon bei vielen netten
Gesprächen kennengelernt. Nun setzen wir uns wieder nach
draußen, holen uns Rotwein und Gläser und füllen in
aller Ruhe die Zufriedenheitfragebögen aus. Ich liste an dieser
Stelle einmal alle Kritikpunkte auf und weise aber ausdrücklich
darauf hin, daß es nicht ums Gemecker an sich geht, sondern um
positive Kritik und wir alle diese Reise jederzeit wieder machen
würden. Hier ist die Liste:
Ich bin gespannt, ob Phoenix auf die
Kritik reagiert, denn letzendlich riskiert Phoenix den Verlust von
Stammgästen. Das Lustige ist, daß all diese Sachen
lächerliche Kleinigkeiten sind, die mit minimalem Aufwand
beseitigt werden könnten. Doch nun genug gemeckert und weiter im
Text. Moskau harrt unser.
Um 8:00 werden wir
geweckt. Alle sind wie gerädert, die Nacht ist sehr laut gewesen.
An den Ufern feierten die Wochenendausflügler am Lagerfeuer
lautstark und die Schleusenpassagen taten ein Übriges. Geschimpft
wurde besonders über eine auch schlaflose Dame, die ein Deck
höher endlose Runden drehte. Wieso sie dazu Stöckelschuhe
anhatte, die auf Lärmmaximierung getrimmt waren, blieb allen
dadurch Wachgerüttelten rätselhaft. Sicher war es die
seltsame, klapperdürre, junge Frau, die man nie essen sah und
über die das ganze Schiff sich schon den Kopf zerbrach. Der
Vormittag verging gemächlich. Man schlenderte durch das Schiff,
bezahlte seine Rechnungen, kaufte günstig solches Zeug wie Kaviar,
Sekt und Zigaretten ein oder saß an Deck und betrachtete die
Uferlandschaft, die immer urbanisierter wirkte. Da die letzte
Reiseetappe zu gut geklappt hatte. wir aber erst um 13:00 Uhr in Moskau
anlegen konnten, kroch unser Schiff die letzten Kilometer im besseren
Fußgängertempo dahin. Bald sah man die Flugzeuge in einer
endlosen Kette von Scheremetjewo II starten, dann kamen
Hochspannungsmasten, Schnellstraßen und schließlich zeigten
zahlreiche Brücken und Hochhäuser an, daß wir fast am
Ziel sind. Nach dem letzten Mittagessen auf dem fahrenden Schiff legt
das Schiff gegen 13:00 Uhr am gigantischen Flußbahnhof, der Platz
für mehr als 40 Schiffe bietet, am Liegeplatz 1 an. Auf uns warten
schon die Busse und unsere Dolmetscherin, diesmal eine reifere Dame mit
potthäßlicher Brille, deren Name mir entfallen ist. Die
Busse fahren rasch auf den drei- bis sechsspurigen Straßen ins
Zentrum und so sehen wir nur bruchstückhaft die vielen
Sehenswürdigkeiten. Weißrussischer Bahnhof, Stalins
Zuckerbauten, das alte KGB-Gebäude und vieles andere fliegen an
uns vorbei und ruckzuck sind wir am Roten Platz. Man merkt am minimalen
Verkehr, daß es Sonntag ist. Nun stehe ich also in der Hauptstadt
Rußlands. Noch letztes Jahr hätte ich nie gedacht, daß
das je geschehen würde. Der Rote Platz mit seinen weltbekannten
Kreml- und sonstigen Anlagen liegt vor uns. Leider ist er aus
irgendwelchen Gründen für Besucher gesperrt. Wir versuchen an
anderer Stelle, nämlich am GUM, hinzukommen, aber auch dort
verwehren uns Polizisten den Zutritt. So haben wir aber wenigstens das
GUM gesehen, diese architektonische Rarität des späten 19.
Jahrhunderts, in dem mittlerweile mehr als 100 weltbekannte Nobelfirmen
gelangweilte schicke Verkäuferinnen herumstehen lassen, denn ein
Normalsterblicher kann und will sich dort exakt nichts leisten. Unsere
Stadtrundfahrt geht weiter zu einem Park, der einen wunderschönen
Ausblick auf das riesige "Neue Jungfrauenkloster" bietet, welches wir
uns aber nur aus der Ferne ansehen. Im Park erstehe ich Ansichtskarten
der Metrostationen, die mir bei der Ausarbeitung meiner Metroroute
behilflich sein sollen. Weiter geht die Reise auf die
Sperlingshügel, wie die Leninberge mittlerweile wieder viel
poetischer heißen. Wir bestaunen den gigantischen Bau der
Lomonossow-Universität und haben einen schönen Blick
über das nachmittägliche Moskau. Der letzte Aufenthalt ist am
neuen, von einem Privatmann gestifteten Denkmal für Peter
den Großen, welches unter den Moskauern nicht unumstritten ist,
verlagerte dieser doch den Regierungssitz aus Moskau nach dem von ihm
gegründeten Petersburg. Mir gefiel dieses Denkmal ausgezeichnet,
besonders, da es neu ist und dennoch klassisch schön wirkt. Fast alle anderen modernen Kunstwerke sind
häufig nur dekadenter Mist, dieses ist eine Pracht. Dicht neben
dem umstrittenen Denkmal konnten wir die größte
Schokoladenfabrik des Landes "Roter Oktober" sehen, die im 19.
Jahrhundert von den Deutschen Theodor Ferdinand von Einem und Julius
Heuss gegründet wurde und heute immer noch gute Gewinne
einfährt. Eine so große Fabrik in Blickweite des Kreml,
sicher wird das nicht mehr lange so sein und sie wird an der Peripherie
neu errichtet werden. Mit vielen neuen Eindrücken versorgt
kehren wir zum Schiffsbahnhof zurück. Auf dem Schiff fragt mich
eine die Dame aus Ludwigshafen, ob sie mit mir die Metrobesichtigung
mitmachen könne, was ich bejahe. Mutti möchte ihre
Erkältung bekämpfen und an Bord bleiben und so warte ich an
Deck auf meine zwei Begleiterinnen. Unsere private
Metroerkundungsaktion hat sich schnell herumgesprochen, denn
plötzlich stehen zwei mir völlig unbekannte alte Damen vor
mir und wollen sich meiner kleinen Truppe anschließen.
Während ich noch um eine halbwegs höfliche Ausflucht ringe,
rettet Mutti die Situation, indem sie die Beiden mit deutlichen Worten
verscheucht und damit sehr brüskiert. Mit einem "Schönen
Dank" verziehen sich die Alten und reden kein Wort mehr mit Leuten aus
unserem Dunstkreis. Mir sollte es nur recht sein. Wer unbedingt die
Metro sehen will und keine Ahnung von der Landessprache hat, für
den beginnt ja um 20:45 Uhr der Ausflug "Metro bei Nacht". Christa
buchte ihn, denn sie traut sich mit ihrem krankenRücken nicht mit
uns alleine in die Großstadt. Endlich habe ich "meine" beiden
Damen zusammen und wir ziehen gen Metrostation. Auf dem Weg dahin
erfahre ich ihre Namen. Christa Kirschneit ist aus Hamburg und
Christina, wie bekannt, aus Ludwigshafen. Ich löse drei
Doppelkarten zu 26 Rubel (75 Cent), bringe uns drei durch den Eingang
und schon geht die U-Bahnreise los. Laut sind die Züge, aber
irgendwann haben wir uns an den Krach gewöhnt. Mit meinem Postkartenheft und dem
Metrofahrplan bewaffnet, lotse ich unsere kleine Gruppe durch 12 der
schönsten U-Bahnhöfe. Uns bleibt tatsächlich die Sprache
weg. So eine Pracht findet man kaum an Fürstenhöfen.
Beeindruckend ist auch die Sicherheit, die ausgestrahlt wird und die
vorbildliche Sauberkeit. Auch die Passagiere, vorwiegend junge
Mädchen auf dem Heimweg aus den Geschäften, die hier immer
geöffnet haben, sind eine Augenweide. Nach 23:00 Uhr kehren wir
abgekämpft aber mit strahlenden Augen zum Schiff zurück, das
mittlerweile am Liegeplatz 0 liegt. Der Ausflug war deutlich
günstiger und sicher auch schöner als in der großen
Truppe. Ich bin sehr zufrieden, daß ich so problemlos durch
Moskau komme und daß es meinen Begleiterinnen offensichtlich
gefallen hat und falle ins Bett.
Nach dem Frühstück bringen uns
die Busse zum Kreml, in dem wir bei Kaiserwetter eine ausgedehnte
Führung haben. Ich entdecke auf unserer Tour die Eiche, die Juri
Gagarin nach seinem Flug um die Erde pflanzte und Grabstätten von
bekannten Personen, wie Kurtschatow, Stalin u. a. m.. Gegen 11:30 Uhr
verabschieden wir uns von der Reisegruppe und gehen eigenmächtig
durch Moskau. Als erstes brauchen wir Geld, welches wir uns
umständlich im GUM besorgen. Mutti holt in einer Apotheke
Medikamente gegen ihren immer schlimmer werdenden Husten. Wir stellen
fest, daß es alles gibt und auch sehr preisgünstig ist.
Direkt am Roten Platz essen wir einen sehr guten Borschtsch und ein
prima Beef Stroganoff. Dann ist allerdings auch unser Geld wieder alle.
Nach knapp 2 Wochen in Rußland kommen wir offensichtlich immer
noch nicht mit dem Kurs zurecht. Nun gut, die Preise in Moskau sind
sicherlich auch nicht mit denen auf dem platten Lande vergleichbar.
Mutti hat im Kreml in einer Kirche einen schönen Stadtplan von
Moskau gekauft. An Hand dieses Planes beschließe ich, daß
wir zur Christi-Erlöserkirche laufen. Es ist zwar nicht allzu weit, aber wir
müssen einmal eine sechsspurige Einbahnstraße
überqueren. Das ist keine gute Idee, denn die Autofahrer
betrachten Fußgänger als Freiwild und fahren alle so schnell
um die Kurve, daß die Reifen quietschen. Nach überstandener
Mutprobe sehe ich gegen 14:00 Uhr das erste Mal die neue Hauptkirche
des orthodoxen Rußland in voller Pracht. Vorher saß ich im
Bus immer auf der falschen Seite. Zuerst bewundern wir das erst
kürzlich fertiggestellte Denkmal für den letzten Zaren,
Alexander II. Die beiden Löwen gefallen nicht nur
uns, denn praktisch jeder läßt sich mit ihnen fotografieren.
Am erstaunlichsten an diesem schönen Denkmal ist für mich die
Tatsache, daß im Jahre 2005 in Rußland für den Zaren
ein Denkmal geweiht wird. Man stelle sich vor, in Deutschland
würde man nächstes Jahr ein neues Denkmal für Wilhelm I
oder Bismarck einweihen! Anschließend gehen wir in die erst
kürzlich nach Originalplänen wieder aufgebaute Kirche und
stellen fest, daß auch alle Superlative der bisherigen Reise noch
locker überboten werden können. Kirchen bauen, ja das liegt
den Russen wohl im Blute. Jetzt verstehe ich, weshalb Patriarch Aleksij
diese Kirche als Hauptsitz verwendet und sich die Politprominenz in
ihrem prächtigen Untergeschoß trifft. Beeindruckend sind
auch die Marmorstelen, auf denen alle Gefallenen der
napoleonischen Kriege gelistet sind. Eindrucksvoller kann der Riß
zur alten Sowjetära und die Unumkehrbarkeit der neuen Freiheit und
Selbständigkeit des Landes nicht erfahren werden als an dieser Stelle, an der zu Stalins
und Breschnews Zeiten ein schnödes Schwimmbad auf dem Platz der
gesprengten Kirche stand. Obwohl - der Mc Donald's am Roten Platz
vorhin schockte auch schon arg. Tröstlich zu hören, daß
das häßliche Hotel "Moskwa", das den Roten Platz seit
Jahrzehnten verschandelt, zum 31. Dezember 2005 gesprengt werden soll.
Wir fahren mit der Metro zwei Stationen zum Arbat, den Mutti unbedingt
sehen möchte. Es ist unglaublich heiß und wir brauchen eine
Pause. Kurz hinter der U-Bahnstation gehen wir in ein nahöstlich
angehauchtes Restaurant, in dem ich das erste Mal seit 1983 wieder
Granatapfelsaft trinke. Leider ist dieser Saft nicht frisch
gepreßt, dafür hat das Restaurant aber eine Klimaanlage.
Nachdem wir uns akklimatisiert haben, betreten wir den alten Arbat. Und
tatsächlich haben die Prospekte nicht gelogen, wir sehen
Straßenmaler, die in Windeseile treffsicher zahlende Passanten
porträtieren, Liedermacher, Tänzer und schlendern an
zahllosen Antiquariaten, Läden und Denkmälern vorbei. Auch
finden wir einen Automaten, der sogar Euro ausgibt, die wir teilweise
zu gutem Kurs in Rubel umwandeln. Das Moskauer Hardrock-Cafe
kennzeichnet auf der rechten Seite das Ende dieser langen Flaniermeile.
Rechterhand steht ein Wohnhochhaus in Stalins Zuckerbäckerstil. Am
späten Nachmittag trennen wir uns schweren Herzens von diesem
schönen Fleck Erde. Ich geleite nun meine staunende Mutter durch
einige unterirdische Paläste der Metro und gegen 18:00 Uhr sind
wir wieder an Bord. Den Abend verbringen wir geruhsam im Freien und
lassen uns am Bug vor der Balalaika-Bar die mitgebrachten Alkoholika
schmecken. Unsere Christa war gegen 13:00 an Bord gekommen und hatte am
Nachmittag Bekanntschaft mit dem Mann von der anderen Christa, ab jetzt
Christa II, geschlossen, mit der ich tags zuvor die U-Bahn unsicher
machte. Dieser Herr ist durch einen Schlaganfall halbseitig
gelähmt und saß nun die ganze Zeit auf dem Schiff herum.
Seine Frau Christa II gab Getränke aus und wir hatten einen
wunderschönen Plapperabend, in dessen Verlauf die Idee reifte,
Jörg, so der Name des Mannes von Christa II, einfach am
nächsten Tag zum Arbat-Bummel und U-Bahn-Erkunden mitzunehmen.
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Diesmal geht der Bordfunk um 7:10 Uhr an. Das sanfte Radiogeplätscher ertrage ich auch heute wieder keine fünf Minuten. Weiß der Teufel, wo man diese Fahrstuhlmusik überhaupt zu kaufen bekommt. Um 8:30 Uhr verschwinden die Reisegruppen mit den Bussen zu ihren Ausflügen in die Stadt. Eine Stunde später brachen wir zu viert auf. Die morgendliche Metro- Hektik war noch nicht vorbei und ich mußte nach Fahrkarten anstehen. Vor mir stand ein Ehepaar mit Tochter, die mir auch von der "Lenin" bekannt waren. Sie berichteten, daß es in Düsseldorf bei 12 Grad regnen würde. Wir hatten ja immer schönes Wetter und konnten das gar nicht glauben. In dem Moment, als sie an der Reihe waren, ging unsere Kassiererin in die Pause und überließ es ihrer Kollegin, die zwei je ca. 100 Mann langen Schlangen zu bedienen. Wenigstens war die Nachbarschlange so nett und ließ uns im Reißverschlußverfahren hinein, so daß wir doch noch zeitnah zu Fahrkarten kamen. Nun klappte auch alles besser als ich erwartete. Christa II schiebt ihren Mann im Rollstuhl die längeren Strecken, bei Treppen bin ich die Stütze, Rolltreppen schafft Jörg souverän und auch die kurzen Strecken bewältigt er allein. Die einzige Schwierigkeit ist das Einsteigen in die Bahn, da alles recht schnell geht. Aber wir haben ja Zeit und warten im Zweifel auf die nächste Bahn, die ja im Minutentakt anrollen. Sehr positiv fällt uns auf, daß die Leute immer höflich helfen und sofort einen Sitzplatz in der recht vollen Bahn anbieten, sobald sie uns bemerken.Wir fahren kreuz und quer durch die schönsten Bahnhöfe, wobei ich auch diejenigen berücksichtige, die mir noch fehlen. So habe ich schlußendlich alle herausragenden Metrostationen gesehen, die meisten sogar mehrfach. Dann steigen wir am Arbat aus und gehen in das Restaurant "Schech Besch", das wir bereits am Vortag für geeignet befanden, um uns abzukühlen und zu essen. Laut meiner Kartenabrechnung kostete das Essen für alle zusammen 54 Euro, nicht zuviel für zwei Salate aus der üppigen Salatbar und 4 wohlschmeckende Schaschlikplatten und mehrere Getränke, wohl aber unbezahlbar für eine Lehrerin, die im Monat nur ca. 200 Euro verdient. Gestärkt und ausgeruht schlendern bzw. rollen wir den Arbat entlang und entdecken allenthalben neue Details, architektonisch faszinierende Häuserensembles, Volkstanzgruppen und Tafeln an den Häusern, die auf berühmte Söhne der Straße hinweisen, seien es Mathematiker, Philosophen oder auch Leute wie Anatoli Rybakow, dessen Buch "Die Kinder des Arbat" mittlerweile internationale Erfolge feiert, während es in der Sowjetzeit nicht erscheinen durfte. Christa II möchte den in Moskau durchaus präsenten Bettlern von den Lunchpaketen abgeben, eine mildtätige Geste. Aber die Bettler haben keinen Hunger und wollen nur Geld (Kopeki, Kopeki...!). Das ist gut zu wissen. Wir schlendern einmal den Arbat hin und einmal zurück mit Kaffeepause, damit das getauschte Geld alle wird. Im Cafe freute sich der Kellner, daß er Deutsche traf, er arbeitete seit Jahren in Lüneburg, Geburtsstadt von Christa II. Ein Gast am Nachbartisch sprach ebenfalls fließend deutsch (Orchestermusiker im Theater Rostock) und bedauerte, daß viele junge Russen im Ausland das Glück suchen. Während der Kaffeepause hatten wir ausgiebig Gelegenheit, die Leute zu beobachten und stellten wiederum fest, daß wir Deutschen uns im Urlaub schrecklich anziehen und die Russen, besonders die jungen Russinnen, sich dagegen sehr elegant und anmutig präsentieren. Das fiel selbst mir auf und das will etwas heißen. Auf dem Rückweg halten wir noch an zwei besonders schönen Metrostationen und dann geht es zurück zum Schiff, das wir kurz vor 18:00 Uhr bei 33°C und plötzlich einsetzendem Platzregen erreichen. Mutti eilt zu Dr. Gorbatschow, der schon ungeduldig auf sie wartet. Am Abend vernichten wir die restlichen Alkoholvorräte vollständig, erleben einen herrlichen Sonnenuntergang und werten den Tag und die Reise an sich aus, ist morgen doch schon der Abreisetag.
Der letzte Tag auf der MS "Lenin" beginnt
um 6:45 Uhr. Nach dem Frühstück verlassen diejenigen
Gäste samt Gepäck das Schiff, die die Bootsfahrt auf der
Moskwa buchten. Wir haben bis 11:45 Zeit. So stellen wir die gepackten
Koffer auf den Gang und schlendern dann noch durch den
wunderschönen und großzügigen Park, der den
Flußbahnhof säumt und über 200 Pflanzensorten enthalten
soll. Ich schieße noch schnell ein paar letzte Bilder vom Schiff
und dann heißt es Abschied von allen nehmen. Christa II und
Christina winken zum Abschied und Wehmut befällt mich, als Larissa
und Alexander von Phoenix sich verabschieden. Der Bus fährt uns
zum Flughafen Scheremetjewo II, der im Nordwesten der Stadt liegt. An
der Ausfallstraße sehen wir gigantische Einkaufszentren. Die
Dolmetscherin (die mit der Brille) berichtet, wie es früher
zuging, wenn man Möbel kaufen wollte und ich sehe eine ewig lange
Autokolonne, die in den ersten bezahlbaren Supermarkt nach den
Stadtgrenzen Moskaus hinein möchte. Am Flughafen klappt
zunächst alles reibungslos aber was dann passiert, ist geeignet,
einem den ganzen Urlaub zu vergällen. Bei der Gepäckaufgabe
stehen über 100 Menschen an und es passiert erst einmal
überhaupt nichts. Dann bequemt sich eine Frau, gemächlich im
3-Minutentakt einen Passagier abzufertigen. Selbst als ein zweiter
Schalter aufmacht, ist die Durchlaßfrequenz bei 1/2
Person/Minute. Ich überschlage im Kopf, daß somit die
letzten Passagiere nicht ins Flugzeug gelangen können. Die
Stimmung ist gereizt, zumal die Nachbarschlange sich geschickt
vorzumogeln versteht und scheinbar an unserem Schalter nichts passiert.
Als ich nach über anderthalbstündiger Warterei meinen Koffer
abgeben darf, vertut sich die Tussi auch noch und muß alles noch
einmal erfassen. So werde auch ich zum 5-Minuten-Fall. Wäre ich
nicht so ausgeruht gewesen, so wäre ich ob der hirnlosen
Bürokratie und fragwürdigen Organisation und völlig
fehlenden Koordination sicherlich ausgerastet. So habe ich diesen
unangenehmen Teil verdrängt. Wenigstens mußten wir dann
nicht mehr lange warten, bis wir ins Flugzeug steigen konnten. LTU
begrüßte uns wieder, ich hatte den rechten Fensterplatz in
der zweiten Reihe, die ich mir mit demselben netten Ehepaar aus Bad
Salzungen teilte, wie schon beim Hinflug, welch ein Zufall. Mutti
saß irgendwo hinten, Christa vor mir. Das Flugzeug startete bei
herrlichem Wetter auf die Minute genau und durch günstige
Windverhältnisse betrug die Gesamtflugzeit nur gut 2 Stunden.
Somit hatten wir nach dem Uhrumstellen keine 15 Minuten von Moskau nach
Berlin gebraucht. Das Flugzeug landete so butterweich in Tegel,
daß man es kaum bemerkte. Dafür hatte es uns aber
während des Fluges gut durchgeschüttelt. Wir verabschiedeten
uns schnell von Christa, die nach Frankfurt weiter fliegen mußte
und holten unser Gepäck. Das Begrüßungswetter in
Deutschland taugte mit 14°C und Dauerregen überhaupt nichts.
Ich telefonierte mit dem dauerkappentragenden Nico, der uns auch sofort
samt Gepäck zu Muttis Auto brachte, das uns dann im Dauerregen
schnell (Anmerkung: Post aus Leipzig mit Zahlschein über 25 Euro
Verwarnungsgeld) und sicher nach Hause brachte. Trotz einer Essensrast
im Fläming waren wir gegen 18:00 Uhr wieder bei Mutti in der
Wohnung, wo sofort die Waschmaschine viel Arbeit bekam. Damit ging ein
vielseitiger Urlaub zu Ende, in dem wir sehr viele interessante
Menschen kennenlernten, Kulturdenkmäler und Landschaften sahen,
die uns unvergeßlich bleiben werden und überdies mehr
über die russische Geschichte hautnah erfuhren, als es
irgendwelche Medien je vermitteln könnten. Ich als "Kenner" der
Russen mußte viele Vorurteile revidieren und sehe nun auch die
politische Lage und eigene Probleme durchaus aus einem anderen,
distanzierteren Blickwinkel. Jedem, der noch nie in Rußland war,
kann ich so eine Reise wärmstens empfehlen.
Nieder-Olm im August
2005
Meinungen,
Kommentare, Fragen, Verbesserungen,
Korrekturvorschläge? Mehlen
Sie mir einfach!