Zu Weihnachten erhielt ich von meiner Versicherungstante eine wunderschöne Weinflasche mit Hinterglasmotiv. Nun ist das ein Moselwein und normalerweise kann man auf dieser Art Flaschen immer irgendwelche Burgen, Landschaften und Schlösser rund um die Mosel bewundern.
Meine Flasche aber gehört zu einer Sonderedition und stellt die Frauenkirche zu Dresden dar. (Ja, ich weiß, auch im Raum Dresden bemüht man sich Wein anzubauen, aber der ist einfach nur sauer Punkt!) Der Text auf der Flasche lautet:
„Die Frauenkirche ist eines der bekanntesten Kuppelbauwerke der Barockzeit und das Wahrzeichen Dresdens.
Ihr Bau begann 1726 durch den Architekten Georg Bähr. Nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg wurde sie wieder aufgebaut und erstrahlt heute im neuen Glanz.“
Auch in meine Augen stahl sich der Glanz, überwältigten mich doch beim Lesen dieses lapidaren Textes die Gefühle.
In wenigen, schnöden und banalen Worten wird eine Realität bestätigt, eine Normalität erzeugt, die mir den Atem stocken ließ.
Dazu muß man wissen, daß mich und die Dresdener Frauenkirche seit einigen Jahren einiges verbindet.
Zur Stadt Dresden hatte ich früher nie eine Beziehung. Als Oberschüler war ich mit meiner Klasse im Zentrum (sozialistisch grau und häßlich), im Museum (war interessant, aber nicht für pubertierende Schüler) und im Ballett (’schwules Rumgehüppe‘ für jemanden, der schon in St. Petersburg (damals noch Leningrad) im Kirow-Theater Ballett bestaunen durfte), nach dem Abitur hielt ich mich einmal kurz auf dem Bahnhof auf der Durchreise auf und somit sagte mir die Stadt exakt nichts, zumal die DDR-Führung immer die sozialistische Rolle der Stadt rauskehrte und die Gegend als „Tal der Ahnungslosen (das bedeutete, dort konnte kein Westfernsehen empfangen werden)“ verpönt war.
Die Stadt brachte mir das erste Mal ein guter Freund und gebürtiger Dresdner näher, mit dem ich zusammen in Marburg studierte. Seine Erzählungen, gerade über die Zerbombung der einstmals schönsten Stadt Deutschlands vom 13. bis 15. Februar 1945, kurz vor Kriegsende, bei der, gerne verschwiegen, genausoviele Menschen den Tod fanden wie bei den Atombombenabwurfen von Hiroshima und Nagasaki zusammen, ließen mich anders über diese arg gebeutelte Stadt denken.
1995, da war schon unter hoher Pressebeachtung der Grundstein gelegt worden, machte ich, als ich einmal der Nähe Dresdens war, einen Besuch der Innenstadt und sah erstmals bewußt die Ruinen, die sortierten Sandsteine auf Hochregalen und das düster und leer wirkende Stadtzentrum. Spontan spendete ich damals 20 DM, das war viel Geld für einen Studenten.
Das sollte nicht die letzte Spende sein, denn immer, wenn es mich später in die Elbestadt verschlug, gab ich gerne etwas. Nun bin ich eigentlich nicht so der Spendertyp, ich weiß es nicht, warum ich immer beim Anblick der Ruine der Frauenkirche die Brieftasche zückte.
Irgendwann entdeckte ich auf irgendeinem Flohmarkt eine Schallplatte, die ich für 4,50 Euro erwarb. Auf der Schallplatte befindet sich Orgelmusik von Bach, Böhm, Reger und Micheelsen, gespielt von Hanns Ander-Donath auf der Silbermannorgel der Frauenkirche zu Dresden, aufgenommen im Jahre 1944.
Ich weiß nicht, wie oft ich mir seitdem diese Schallplatte anhörte, rational ist es jedenfalls nicht, sich knisternde Monoaufnahmen fraglicher Qualität auf einer Anlage anzuhören, die sonst eher Klänge im Dolby Theatersound wiederzugeben gewohnt ist. Aber auch das prägte sicher zu einem guten Teil mein Verhältnis zur neuen Frauenkirche.
Ab 2001 weilte ich öfter und regelmäßiger in der sächsischen Landeshauptstadt, da dort mein damaliger Arbeitgeber eine Niederlassung wiedereröffnete, und konnte mich so vom Fortschritt überzeugen.
Auch meine Mutter machte ich zum Dresdenfreund, indem ich sie überredete, mit mir die Stadt zu besuchen.
Am 15. September 2001 bestaunte ich die Baufortschritte erneut, es war auf der Rückreise von der Hochzeit meines besten Freundes, der sich stilgerecht die Festung Königsstein als Hochzeitzsort gewählt hatte.
Logisch, wohnt er doch im Südbadischen und stannt seine Frau aus Niedersachsen.
Auch im August 2002, noch während der sogenannten Jahrhundertflut, hatte ich in Dresden beruflich zu tun und konnte mir unmittelbar ein Bild davon machen. Am meisten Angst hatte ich an diesem Tag um die Frauenkirche. Ich befürchtete, daß die Bauarbeiten stagnieren würden, das immense Schäden entstünden und damit das ganze Projekt scheitern würde. Wieder gab ich Geld und das nicht zuwenig. Wenige Tage später besuchte ich wiederum mit meiner Mutter nochmals die Stadt und bestaunte den Eifer bei den Aufräumungsarbeiten. Trotz des fauligen Gestanks gingen wir zur Frauenkirche und begutachteten „fachmännisch“ die dortigen Schäden und fuhren beruhigt wieder heim.
Mein letzter Besuch der Stadt war am Reformationstag, dem 31. Oktober 2005. Exakt einen Tag vorher hatte die Weihung stattgefunden und während meines Besuchs, der mir ein inneres Bedürfnis war und garnicht richtig geplant, fand in der Frauenkirche der Festakt zum Reformationstag statt.
Wir besuchten an diesem Tage noch die Gemäldegalerie und waren überwältigt.
Dresden hat sein Herz wieder. Die Stadt sieht wieder so aus, als ob sie irgendwann einmal wieder die Perle an der Elbe werden kann.
Allen Kritikern, die bemängeln, daß damit ein Kriegsmahnmal verloren geht, lache ich ins Gesicht. Es gibt im Lande weiß Gott genug Denkmäler und Dresden hat unter den sozialistischen Zweck- und Plattenbauten noch genug zu leiden. Und jeder Dresdener weiß auch ohne die Ruine der Frauenkirche, was am 14. Februar 1945 in der Höllenglut der englischen Aktion Thunderclap, die der britische Fliegergeneral Arthur Harris (der Bomber-Harris) geschah.
Ich konnte mich jedenfalls an der in voller Pracht erstrahlten Frauenkirche nicht satt sehen und war stolz darauf, auch einen, wenn auch nur winzigen, Beitrag zu ihrem Wiederaufbau geleistet zu haben. Voll Demut und Ehrfurcht stand ich in der zugigen Kälte und merkwürdige Gedanken schwirrten in meinem Kopf. So fühlt man sich wohl, wenn man unmittelbar einem wichtigen Ereignis beiwohnt und damit zu einem Zeitzeugen wird.
Jan 052006