Wenn man einige Stunden mit dem Sortieren und Taggen verplempbringt, schießen einem ja viele Gedanken durch den Kopf.
Da wäre als Erstes das Problem der Vergänglichkeit und der Geldverschwendung.
meine mehr als 1.000 CDs habe ich von 1993 bis heute zusammengekauft. Manche waren speibillg (bspw. V-Kidz – Woodpacker from Space – Maxi, die kostete 15 Cent und wurde nur deswegen im Karstadt gekauft, damit ich mir mein Parkticket abstempeln lassen konnte), die meisten kosteten CD-Standardpreise zwischen 10 EUR und 20 EUR, als teuerstes Exemplar ermittelte ich das weiße Album der Beatles…
Ziemlich komplette bzw. üppige Sammlungen besitze ich von:
– Kraftwerk
– Depeche Mode (in drei Wochen nicht vergessen, das neue Album zu kaufen)
– Jean Michel Jarre
– Tangerine Dream (naja, 20 Alben, die haben aber weit über 100 veröffentlicht)
– Sigur Ros
– Die Ärzte (Bela B. Farin Urlaub)
– Marillion
– Pet Shop Boys
– Culture Beat
– ABC
– Simpsons
– Southpark
– Dire Straits (Mark Knopfler)
Ich bin also durchaus „elektrolastig“.
Das exotischste Album stammt wohl vom Label „Erdenklang“, was mich mit Synthesizermusik aus dem sozialistischen Bulgarien bereicherte.
Die exotischsten Kauforte waren das Skifan in Reykjavik, wo ich (selbstverständlich) Björk und Sigur Ros erwarb. Altnorwegisch angehauchte Gothicmusik erhielt ich in Tromso und orthodoxe Männerchöre gab’s in Kostroma.
Doch der Hauptgedanke war natürlich die Geldverschwendung bzw. Geldvernichtung (Wertvernichtung). Denn die CDs werden logischerweise nach der Digitalisierung nicht mehr gehört werden. Verkaufen lohnt nicht oder ist mir sehr hohem Aufwand verbunden, der in keinem Verhältnis zum Erlös steht. Verschenken kann man die Sammlung nicht, wer will so etwas schon noch heutzutage?
Also bleibt einem die Erkenntnis, daß früher alles besser man sich zum Konsumdeppen gemacht hatte, der mehr als 10.000 EUR für Datenträger ausgegeben hat, die nun in rein digitaler Form auf einen Datenträger für 50 EUR locker Platz finden.
Und man hat auch sonst ein mieses Gefühl, denn bei der nun stets und einfach verfügbaren schieren Masse oder Menge an MP3 (alleine 2.000 Stücke passen auf einen gängigen USB-Stick und damit ins Auto, abgesehen von den Möglichkeiten des Streamens…) verkommt das Hören. Besser gesagt verlottert es. Man genießt kein Gesamtwerk, erschließt sich nicht Albenstrukturen oder beschäftigt sich nicht mehr so intensiv mit Text und Werk wie zu Zeiten knapper Ressourcen.
Wollte ich alle bei mir vorhandenen MP3s hören, würde ein halbes Jahr (ohne Schlaf) nicht reichen. Also pickt man sich hier etwas raus, spult da weiter, überspringt jenen Titel… kein gutes Verhalten.
Abgesehen davon läuft man natürlich in die Gefahr, Qualität und Quantität zu vermischen.
Ein weiterer (negativer) Effekt bei mir zu beobachten. Ähnlich wie beim Fernsehen, wo ich immer weniger schaute, je mehr Sender ich zur Verfügung hatte, höre ich weniger in die Breite, sondern beschränke mich auf immer die selben wenigen Titel. Denn das Wissen, die Auswahl zu haben, scheint zu reichen, das tatsächliche Ausnutzen bleibt oft auf der Strecke.
Aber nach dem Durchsehen der Sammlung kann ich die nächste Zeit problemlos auf das „normale“ Radioprogramm aller gängigen Sender verzichten. Was dort so läuft, das könnte ich mit eigenen Mitteln problemlos und im Zweifel sogar besser bestreiten.
Beiträge wie diesen bzw. den vorherigen schreibst du doch nur, damit ich was zum Schaudern bzw. Kommentieren habe ;-). Dann will ich mal beides tun, um das Klischee zu erfüllen.
Was mich immer verwundert, ist, daß du dir der Probleme der Massendigitalisierung eingehend bewußt bist und auch viele Kritikpunkte siehst, das ganze Verdatungsspiel aber trotzdem in sehr ausgeprägter Form mitspielst. Wenn man ein bestimmtes Medium liebt (wie du z.B. die Musik) sollte man dann nicht viel mehr Wert auf die inviduelle Natur der Musik und ihrer Trägermedien legen, anstatt mehr und mehr Masse davon zu horten? Massendigitalisierung ist für mich immer ein Aspekt der Respektlosigkeit gegenüber einem bestimmten Medientyp, und das findet sich für mich dann nicht mit dem Begriff „Liebe“ für ein bestimmtes Medium zusammen. Aber der verquere Eindruck mag an mir liegen.
Nehmen wir Medium mal als losen Überbegriff für Musik, Filme, Bücher etc. Welchen Sinn hat eine Sammlung von Medien, wenn das einzelne Objekt in der Sammlung keine Identität mehr hat? Kein individuelles Gesicht nach außen, keine Hülle, kein Cover, keine greifbare Substanz, kein Geruch, vor allem keine Identität mehr als Einzelstück. Konservierung mag ein Argument sein. Aber selbst wenn man ein hochgeschätztes Medium natürlich so lange wie nur möglich erhalten möchte (und das geht auch non-digital mit guter Pflege): auch die Vergänglichkeit bzw. die Alterungserscheinungen gehören dazu, ebenso wie die Identität als „einmaliges“ Objekt.
Man kann einen Schatz natürlich digitalisieren, das Original entsorgen, und die entstofflichte Version dann zusammen mit 88.000 anderen Dateien auf 54 identische Kopien an 23 verschiedenen internen und externen Speicherorten sichern. Auf die Weise kann man den Schatz zwar nicht verlieren, hat ihn aber vielleicht schon verloren.
Man kann nun natürlich sagen, wenn einem ein bestimmtes Lied/Buch/Film etwas bedeutet, dann liegt die Bedeutung doch bei einem persönlich bzw. ist sowieso ein immaterieller Begriff. Es sollte also keinen Unterschied machen, ob der Film nun im Regal steht oder eine von 88.000 Dateien ist. Aber es besteht IMO immer die große Gefahr, daß die individuelle Bedeutung mehr und mehr abgetragen wird, du hattest oben das schöne Wort „verlottern“ benutzt.
Aber vermutlich wiederhole ich mich und habe nur gerade zuviel Zeit. Sorry.
Klar dachte ich an Dich! Ergänzend zu Deinen, durchaus richtigen Gedanken, kann ich noch hinzufügen, daß der Wandel durch die technische Revolution 2.0 (komplette Digitalisierung der Gesellschaft) mindestens soviel Vorhergehendes vernichtet, wie es die Erfindung von Dampfschiff, Auto, Bahn und Flieger mit Wandern, Botengängen, Postkutschen usw. getan hat. Die neue Qualität ist nicht nur das erschreckend hohe Tempo, mit dem das geschieht (und dem wir nicht einmal, wenn wir wollen, auch nur annähernd hinterherhecheln können), sondern auch die schiere Quantität, an deren Unbeherrschbarkeit der Jäger und Sammler verzweifeln MUSS. Doch ein Zurück ist nicht in Sicht, obwohl eine Entschleunigung dringend notwendig wäre, denn die aktuelle Welt macht krank.