…werden wir derzeit überschüttet. Ein toter Deutscher, der sich für das Abendland einsetzte und dem man deswegen die Kehle durchschnitt, 32 von einem irren Austauschstudenten Erschossene und über 200 durch Bomben Getötete im Irak. Und das binnen weniger Stunden. (Von den tausenden Toten im Krieg Somalia-Äthiopien rede ich da gar nicht erst.)
Solche Konstellationen sind selten.
Sie bringen die Nachrichtensender nicht nur in Schwulitäten, was sie wie gewichten sollen, sondern sie zeigen ganz einfach auch Probleme der modernen Nachrichten“kultur“ auf.
Beim ermordeten Deutschen ziert man sich etwas, schließlich ist es nur einer und außerdem will man sich ja nicht gleich wieder in eine Reihe mit Hitler stellen.
Bei den Blacksburg-Opfern berichtet man mit penetranter Minutiosität über alles, aber auch alles, was man nicht wissen will. Daran merkt man, wie krank und erfolgsabhängig die us-amerikanische Medienlandschaft ist und wie treudoof jede Einzelheit auch hierzulande genüßlich breitgewalzt wird. Interviews mit Bekannten, Freunden, Nachbarn, Fotos aller Opfer inkl. kurzer Lebensläufe und erschütternde Berichte quellen aus jeder Medienritze.
Und über die Anschläge in der irakischen Hauptstadt berichtet diese Medien natürlich auch täglich, nüchtern, sachlich, akkurat. Doch war dort in den letzten Tagen die echte Hölle los. Eine wichtige Brücke flog in die Luft, Teile des Parlaments stehen nicht mehr und man kann die Opfer der (Selbstmord-)attentäter gar nicht zählen.
Wo liegen nun die Probleme?
Ich empfinde diese Reizüberflutung als Belastung. Die Gefahr der Gewöhnung und Abstumpfung ist durchaus gegeben. Außerdem gewichtet man unwillkürlich und brüskiert damit sich und andere und legt Feuer an bereits Schwelendes.
Nicht, daß ich ein riesiger Fan vom Irak bin, aber immerhin rennen dort seit Kriegsende abendländische Soldaten rum, angeblich, um die Sicherheit zu gewährleisten, also hat er mich, zumindest peripher zu interessieren.
Doch ich käme mir als Muselmane auch als Mensch zweiter Klasse vor, wenn man stundenlang über den Amokläufer im Amiland palavert und die 200 Landsleute von mir mit wenigen Worten abtut, die mittlerweile nur noch abgedroschene Phrasen sind (schlimmster Anschlag seit langem…, erwägt den Einsatz von Friedenstruppen…, …Selbstmordattentat, …zündeten einen Sprengsatz…, …sprengten sich in die Luft…)
Insgesamt törnen alle Meldungen durch immer gleiche Wortwahl und zu häufige Wiederholung ab. Darin sehe ich eine Gefahr, denn dieses führt zur Resignation und Gleichgültigkeit.
Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Differenzierendere Nachrichten? Filtern? Gar Zensur?
Die Antwort kann ich nicht geben. Aber prinzipiell ist weniger mehr. Denn irgendwann kann das arme Gehirn den Außenreizen nicht mehr nachkommen und stumpft ab. Und dieses Abstumpfen (von mir aus auch Ausblenden) geschieht meiner Empfindung nach immer schneller und immer rigoroser. Und somit haben wir ruckzuck aus dem stupiden, uninformierten Mittelaltermenschen über den Umweg des heutigen Bildungsbürgers einen über- (sprich: uninformierten) und stupiden Mittelaltermenschen gemacht, halt nur eine Ebene höher und damit schwieriger zu erkennen.
Solche Entwicklungen hat Stanislaw Lem übrigens schon in den 1950er Jahren beschrieben. Allerdings hat er wohl nicht geahnt, daß noch zu seinen Lebzeiten alles in diese Richtung deutet.
Apr 182007