…vor 20 Jahren stürmte Bettina in die DHM-Vorlesung und schrie: „Die Mauer ist auf!“, was dazu führte, daß binnen kürzester Zeit der Raum leer war und nur ein paar wenige bedröppelt zurückließ, mich eingeschlossen.
Bettina, das war die Seminargruppensprecherin und DHM stand für das Pflichtfach Dialektischer Historischer Materialismus, was einem heutigen Menschen auch nicht mehr verrät als die Abkürzung. Pflichtfach bedeutete in diesem Fall, daß einmaliges unentschuldigtes Versäumen zu sofortiger Exmatrikulation führte.
Ort des Geschehens war Karl-Marx-Stadt, was schon kurz danach offiziell wieder seinen Namen tragen durfte, bei dem wir es sowieso ausschließlich nannten: Chemnitz.
So erlebte ich also den Fall der Mauer. Am 9. November hatten wir Wohnheimfest und tranken billigen Wein und noch billigeren Wermut und bekamen exakt gar nichts von den großen Ereignissen mit. Und da mein Auto Trabant gerade in der Werkstatt war und da meine Eltern dank der Reiseerleichterungen von 1987 wenige Monate vorher in Hessen und im Saarland weilten, beschloß der Familienrat, nach meiner Ankunft Zuhause, nicht an der Grenzstürmung mitzumachen. Für uns fand der Mauerfall vor allem im Fernsehen statt, wo wir ständig zwischen ARD, ZDF und sogar dem DDR-Fernsehen hin- und herschalteten.
Eine irre Zeit, eine schöne Zeit. Noch war die Angst um Zukunft und Arbeitsplatz unbekannt, erst einmal war die bedrückende Spannung der letzten Wochen langsam am Weichen.
Die Situation verarbeiten und verstehen, davon waren wir an diesem Tage meilenweit entfernt.
Und das die Mauer gefallen war, habe ich mental erst viele Jahre später verarbeitet. Noch heute zucke ich häufig unwillkürlich zusammen, wenn ich die ehemaligen Todesstreifen bei Rudolphstein, Selmsdorf, Helmstedt, Herleshausen mit dem Auto passiere. Und jedesmal freue ich mich, daß die Grenzen fielen und die unsägliche DDR hinweggerafft wurde und bin dankbar für die neue Freiheit.
Nov 102009
So wie die Nachkriegskinder später zur 68er Generation wurden, (auch wenn sie nicht bei den Studentenprotesten anwesend waren), habe ich von uns um 67/68 geborenen ein paar mal „die 89er Generation“ gelesen. Anfangs habe ich das als Kunstwort abgetan, aber später – beim mehrmaligen drübernachdenken – musste ich zugeben: Da ist was dran.
Es ist eine Generation vor uns dagewesen, die sich zusehr mit dem Status quo arrangiert hatte und es ist eine Generation nach uns herangewachsen, für die die Ereignisse nur noch Geschichte ist und der man mühsam die Verhältnisse vor der Einheit erklären muss.
Ich finde: Es ist an uns, den Nachgeborenen diese Geschichte nahzubringen und die Ereignisse mit unserem eigenen Erleben wach und lebendig zu halten. – Auch wenn’s manchmal heißt: „Phhh, olle Kamellen…“