Feb 172008
 

Wie macht man einen Artikel über eine Studie, ein Wort das seit Jahren immer unsymphatischer wird, also, wie schreibt man einen Artikel, der gleichzeitig sinnlos, dumm, reißerisch, verzerrend, nichtssagend und vorurteilsnährend ist?
Nun, SpOn hat das problemlos hinbekommen.
Reißerisch schon die Überschrift:
„Viel mehr Kindstötungen durch Eltern im Osten“
Nun, welcher Osten ist gemeint? Rußland, Japan und Polen sicher nicht? Man berichtet also pauschal auch im Jahre 2008 geringschätzig vom Osten, der irgendwo drüben ist und nun nach Neonazis und Geldverschwendung nun auch Kinder im Dutzend meuchelt.
Und diese Kindstötungen führen also die Eltern durch. Alleinstehende und Einzeltäter(innen) gibt es nicht, es sind die Eltern, ach was, die Osteltern. Osteltern sind also per se böser als Westeltern, klar, das kommt von den ganzen Leninbildern aus der Kindergartenvergangenheit. Und schon sind alle Osteltern in der Position angelangt, in der sich belgische Männes seit dem Jahre 1995 befinden mögen. Das nur in der Hälfte der Fälle überhaupt Männer involviert sind (30% Frauen, die verheimlichen und 20% psychisch, kranke Frauen), wird erst mal unter den Tisch fallen gelassen.
Natürlich ist das alles nicht so gemeint, wir sind ja aufgeklärt, aber es geht ja diesmal nicht gegen Moslems oder Schwarze, sondern nur gegen Eltern aus dem Osten, das ist was ganz anderes.
Und dann wird also für diese atemberaubende Studie knallhart recherchiert. Aus 150 Fällen von „900 – 1.000“ der letzten 10 Jahre, extrapoliert man die schrecklichen Ursachen.
Halten wir fest: In den letzten 10 Jahren gab es „900 – 1.000“ (abgeschlossene) Fälle bundesweit. Also rund 90 – 100 bekanntgewordene im Jahr bundesweit. (Es wurden also 0,00011 Prozent aller Einwohner Deutschlands durch diese Art vom Leben zum Tod gebracht)
Macht also, da ja die „Ossieltern“ „drei- bis viermal so häufig töten so irgendwie 25 +-4 gemeuchelte Kinder in der Bundesrepublik und 75 +-4 gemeuchelte Kinder, die durch Ossieltern umgebracht werden. Dabei wird natürlich übersprungen, daß meist eine Frau mehrfach als Mörderin in Erscheinung trat. Und da man, in atemberaubendem Tempo unglaublich viele Fälle, nämlich satte 150 mit modernen Computermethoden analysieren konnte, hat man nun so überraschende Fakten gewonnen, daß es vor allem sozial schwache und psychisch geschädigte Eltern sind, die ihre Kinder töten. Naja, und da ja nun im wilden Osten die Armut viel größer ist als im Westen, ist es ja nur logisch, daß auch da Drüben viel mehr Kinder von den Eltern umgebracht werden.
90 bis 100 Kinder, die durch Hand der Eltern sterben, das ist schlimm, das ist grauenhaft. Doch so reißerisch, oberflächlich und falsch dargestellt, wie durch den angesprochenen Artikel, das ist erbärmlich. Leider aber auch Standard in unserer Medienlandschaft. Eigentlich sollte man sich nicht echauffieren, aber ich hatte eben Lust dazu. Und ich mag die verkommene Moral und das Besserwisserische nicht.
Noch ein Denkanstoß an die Medien: Pro Jahr bringen sich in Deutschland ca. 10.000 Menschen um. Nach dem prominenten Fall mit dem Arbeitslosen auf dem Hochsitz, bietet es sich doch an, nun darüber detaillierter zu berichten. Dann lesen wir im Sommer die Studie, daß man in Frankfurt/Oder häufiger den Strick nimmt und in Frankfurt/Main dagegen hohe Gebäude bevorzugt werden.
Man kann natürlich auch die normalen Morde (ca. 800 im Jahr)und Totschläge (1650) nehmen, aber dann natürlich abzüglich der 90 – 100 eigenen Kinder…

 Posted by at 3:41 pm

  2 Responses to “Studie „Viel mehr Kindstötungen durch Eltern im Osten“”

  1. Zu welcher Studie werden Kinder gezählt, die von psychisch kranken Stiefeltern in Frankfurt/Oder auf einem Hochsitz auf dem Dach eines Hochhaus mit dem Strick erhängt werden?

    Pauschalisierungen grundsätzlich als falsch zu bezeichnen, halte ich für eine ungerechtfertigte Pauschalisierung.

    Deine Kritik am schlampigen Untersuchungsaufbau und reißerischen Schlussfolgerungen ist in diesem Fall aber absolut berechtigt.

  2. Hmmm,
    ja – der Artikel vereinfacht ein komplexes Thema in unzulässiger und verzerrender Weise.
    Aber: Man kommt nicht umhin, einen bösen Trend zu erkennen. Der Trend ist da und lässt sich, auch wenn er einem nicht passt, nur schwer wegdiskutieren. Auch und offenbar besonders im „Osten“.
    Und wenn man ernsthaft versuchen will Kindermord, Verwahrlosung, Misshandlung oder „nur“ Vernachlässigung zu verhindern, muss man eben genauer hinsehen: wer macht das und warum.
    Ich glaube weniger, dass die alten Kitas mit den Leninbildchen Schuld sind, sondern eher der systematische und teilweise gewollte Zerfall der bürgerlichen Familienverhältnisse. Bei uns z.B. vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwer aus der Verwandtschaft anruft oder vorbeiguckt und fragt, wie’s geht. Das ist zwar manchmal nervtötend, aber mir allemal lieber, als wenn sich gar niemand kümmert.
    Und wenn man mal die schrecklichen Fälle der jüngsten Zeit betrachtet, sind das oft isolierte, auf sich gestellte und völlig überforderte Menschen – was bitte auf gar keinen Fall hier als Entschuldigung herhalten darf. Wer seine Kinder mies behandelt, ist für mich das allerletzte, der Bodensatz, der letzte Dreck.
    Aber was mich fast noch mehr entsetzt ist das teilnahmslose Blabla der Entscheidungsträger.
    Warum passiert nicht endlich mal was?
    Wofür haben wir denn Jugendämter, Familienminister, soziale Einrichtungen, wenn die nicht in der Lage sind einzugreifen?
    Ich versteh’s nicht.

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