Jun 172010
 

Blogleser Florian schrieb zu meinem gestrigen Beitrag treffend:

Niemand hat Geld übrig, komisch nur, dass sich in meinem Bekanntenkreis eine Langzeitarbeitslose, ein handwerklicher Auszubildender und eine einfache, junge Büroangestellte ein iPhone leisten (können?). Komisch auch, dass das neue iPhone schneller ausverkauft ist, als Apple und Telekom nachliefern können. Es scheint dem Volk SO schlecht nicht zu gehen.
Aber grundsätzlich FULLACK zum Artikel.

Vielen Dank für den Kommentar, ich möchte etwas ausführlicher darauf antworten:
Das mit den Iphones wollte ich sogar auch noch mit einweben. Ich habe ja oft Kontakt zu Arbeitssuchenden. Die haben alle, aber auch alle, teuerste Markenhändis, die Mädels quasi alle Kunstfingernägel und alle haben Tätowierungen und Metall durch diverse Körperteile gebohrt. Und natürlich haben auch alle eine Fitneßstudiokarte. Diese Sachen kosten verdammt viel Geld. Ich kenne 20jährige, die noch nie eigenes Geld verdienten, die aber 18.000 EUR Schulden haben. Das wäre vor einigen Jahren gar nicht gegangen, schlicht und einfach deswegen, weil seriöse Banken so etwas bei jungen Kunden gar nicht zugelassen hätten. Doch dank Citybank und Kreditkarten für alle (Kreditkarten bekam man vor einigebn Jahren nur bei hoher Bonität) wurde die Verschuldungsspirale angedreht. Und das ist das unmoralische an unserer Gesellschaft, daß über die Jahre (besser Jahrzehnte) zugelassen wurde, daß diverse Banken und Industrien solche dummen Menschen auspressen können.
Eine gigantische Werbemaschine richtet sich via Bravo, Fernsehen und Konsumtempel gezielt an Kinder und Jugendliche und hämmert die Werbebotschaft ungeniert und ungehemmt in die wehrlosen Köpfe. Eltern sind dem Phänomen entweder selbst erlegen, kommen vor lauter Korrektheit und Angst nicht zum Erziehen des Nachwuchses oder sind im Zweifel viel zuviel im Büro oder in der Firma, um durch Mehrarbeit der Familie die Illusion des Mittelstandes weiter vorheucheln zu können.
Hiere noch ein paar Beispiele für solche Abzocken.
Pokemon usw.
Am japanischen Schreibtisch geplante, weltweite Durchdringung der Industrienationen mit Rolloutdaten und Vorverträgen mit Filmstudios, Lebensmittelriesen und Großhändlern, durch die das Ganze vorfinanziert wurde.
Jamba usw.
Durch massivstes Beballern auf Jugendsendern (als ich einmal vor einigen Jahren nachmittags im Hotel MTV anschaltete, dachte ich, ich werde wahnsinnig) jedem seine kotzenden Frösche eingehämmert. Dann mit undurchsichtigen 18seitigen kleingedruckten Verträgen, den Kindern langbindende Monatsabos aufgeschwatzt und den (einfachen) Eltern gegenüber knallhart per Anwaltskanzleien Angst gemacht. Dazu passen auch…
Farmville, Musikabos, Second Live und Co.
Lifestyle vorgaukeln und dann per raffiniertem Micropayment Euro für Euro dem Haushalt entlocken.. Man kann bequem und neutral per SMS, (elterliche) Kreditkarte, Telefon- bzw. Händirechnung zahlen. Das böse Erwachen folgt dann immer erst Wochen später, wenn Papa entsetzt feststellen muß, daß dem Familienkonto ein Loch von mehreren 1.000 EUR gerissen wurde (kenne einige Fälle im Bekanntenkreis, bspw. 14.500 EUR durch ein Pro7-Onlinespiel, 7.500 durch ein Online-Pokerspiel in wenigen Wochen)
Kinderriegel, Milchschnitte und weitere Quengelware
Plazieren des Zuckerschrotts im Kassenbereich ist ja altbekannt. Viel schlimmer, wenn Nutella seinen Frühstücksbelag mit einigen Sticks zusammen als Pausenfrühstück anbietet oder Red Bull seine Shots für irrsinnig hohe Preise in die Köpfe wirbt.
Und jahrelang schaut die Politik tatenlos zu und vergießt nicht einmal Krokodilstränen. Dabei sollte es doch so sein, daß wir als Bundesbürger uns einen Staat gegeben haben, damit dieser für das Wohl des Volkes da ist, die innere und äußere Sicherheit wahrt und sich um die Gesundheit, die Bildung und Unversehrtheit seines Volkes kümmert. Das alles steht auch im Grundgesetz.
Und gerade im Bezug auf unsere Schutzbefohlenen (Kinder und Jugendliche) wird das völlig ignoriert. Kinder sind hilf- und schutzlos den modernen Werbestrategen und Massenindustrien der Überflußgesellschaft ausgeliefert. Und viele Eltern ebenso. Eltern sind nicht automatisch supertoll gegen solche oben beschriebenen Abzocken gefeit. Genausowenig macht der Besitz eines Computers einen Nutzer automatisch zum EDV-Experten. Und genausowenig wie es Pflicht ist, einen Computerführerschein zu machen, so fehlt es auch am Elternführerschein.
Das zuständige Ministerium hätte nicht nur früher Aufklärungsarbeit leisten müssen, zum Beispiel über die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, es hätte auch ab und zu mal den Turnschuh- und Tretrollerherstellern, Alois Müller, allen Händivertragsanbietern, Verstümmelungsstudios und und und … mal wenigstens sanft mit dem Zeigefinger winken können. Aber nein, es wird immer gewartet, bis auch das letzte Kind im Brunnen ist und dann erfolglos an Gesetzen rumgebastelt, die dann Freiheit der erwachsenen Bürger einschränken. Heraus kommen dann solche herausragenden Ideen wie Stopschilder im Internet, nackte Weiber im Internet nur nach 22:00 Uhr, Ausweiskontrolle auch beim Silbergreis für böse Telespiele und Heraufsetzen des Verkaufsalters für Zigaretten auf 18 Jahre.
All diese „Verbote“ zu umgehen, fällt nun aber selbst dem PISA-Kinde leicht, also ist alles Augenwischerei.
Und als Antwort auf die erschreckende Bildung unseres Nachwuchses fällt der Regierung nichts besseres ein, als 3.000 Sozialarbeiter in die Klassen zu schicken, um den 16% Abbrechern (30 % bei Türken , Russen usw.) und Nichtstuern zu helfen.
Hier meine Vorschläge:
0. Bau bzw. Sanierung von Schulen. Wie kein Geld da? Gebaut haben wir sie doch auch einmal, da ging es doch auch. Und bitte wieder kleinere Schulen aus Ziegelsteinen errichten, keine Betonbunker.
1. In der Grundschule lehrt man wieder Lesen, Schreiben und Rechnen. Sprechen wäre mittlerweile auch angesagt.
2. Schüler bewerten ihre Lehrer, gute Lehrer werden gefördert, schlechte Lehrer gehen Spargelstechen oder sonst etwas, was nichts mit Kindererziehung zu tun hat.
3. Aufwertung der Schule und Vernetzung mit Gesundheitsinstitutionen, so wird nicht nur die Volksgesundheit gefördert, sondern werden auch Fehlentwicklungen in Familien schnell und sicher erkannt.
4. Mehr Handlungskompetenz entsprechender Institutionen zum Wohle und Schutz unserer Kinder. Das schließt Wohnungsbesuche der Hygienekommision ebenso ein wie Kontensperren oder empfindliche Strafen für Abzocker.
5. Mehr Information, Aufklärung und Bildung.
6. Eine jährlich wechselnde, unabhängige Kommission, die jede Schule einmal jährlich unverhofft besucht und einen halben Tag lang Schüler, Lehrer und Leitung befragt und sich einen Gesamteindruck verschafft und die Schule bewertet.
Klar, vieles widerspricht diversen freiheitlichen Regeln unserer liberalen Gesellschaft. Doch für Schutzbefohlene müssen andere Regeln gelten als für Erwachsene. Und was das Rumgewurschtel in den letzten Jahren gebracht hat, rechtfertigt solche drastischen Maßnahmen für eine gewisse Zeit durchaus.
Das nur ein paar unzusammenhängende Gedankensplitter…

 Posted by at 6:51 am

  5 Responses to “Antwort auf gestrigen Beitrag”

  1. Danke HodRuz für diesen seit langem endlich wieder einmal relevanten Beitrag.
    Ich stimme diesem voll zu und möchte gerne noch ein paar Dinge ergänzen:
    Wir haben ein Ministerium für Verbraucherschutz. Ein Bundesministerium! Die Ministerin heißt Ilse Aigner, schon mal von ihr gehört? Wenn nicht, ist’s kein Wunder, sie tritt nämlich in dieser Eigenschaft kaum in Erscheinung – denn sie ist gleichzeitig für Ernährung, Landwirtschaft und Europa zuständig. Und wie soll man die deutsche Ernährungs- und Lebensmittelindustrie in Europa verteidigen und gleichzeitig im eigenen Land mit „kleinlichen“ Beschränkungen versehen, wie zum Beispiel einer gut lesbaren und leicht verständlichen Ernährungsampel auf dem pappig süßen, fettverklebten, buntverpackten Livestyle-Energy-Irgendwas-Drink mit „Das musst Du haben“ Aufdruck.
    Geht nicht zusammen? Stimmt. Ein solches Paradox im System entlarvt sich irgendwann auch dem Allerdümmsten als Wählerberuhigungsetikett. Wir haben doch schließlich ein Verbraucherschutzministerium, da kann uns ja nichts Böses passieren, na klar, wer’s glaubt wird seelig.

  2. Sorry, du hast ja teilweise nicht Unrecht, aber…Naja…Eine unabhängige Kommission die durchs Land reist und Schüler, Lehrer und Rektoren interviewed und aufgrund dieser kleinen Informationsbasis dann über die Karrieren von tausenden Menschen entscheidet? Ich wollts nicht.

    Und Schüler sollen Lehrer bewerten? Maßgeblich? Dann haben wir nach einem Schuljahr keine Haupt- und Realschul-Lehrer mehr. Oder keine Haupt- und Realschüler…:-D (Und NEIN, die merken NICHT, dass sie verantwortung tragen. Das ist eine Utopie.)

    Und du willst ernsthaft, dass der Staat die Macht hat, einfache Produkte wie Süßwaren oder überteuerte Energy-Drinks zu vebieten? Wo hört das dann auf?

    Ich will keine Kinder-DDR…:-D

  3. @krustyDC Ok, ich will auch keine Kinder-DDR. Aber es kann nicht mit dem weitergehen, was sich derzeit so zeigt. Was hast Du denn für Ideen?

  4. Teilweise richtig. Deine Vorschläge zur Bewertung von Lehrern und Schulen sowie die Vernetzung von Schule und Gesundheitsinsitutionen (noch weniger Verantwortung für Eltern) und auch deine Forderung wieder Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen zu lehren sind allerdings absolut haltlos. Das würde dir klar werden, wenn du eine Woche lang an einer durchschnittlichen Schule hospitieren und feststellen würdest wie dort gearbeitet wird. Zudem gibt es bereits (teuer bezahlte) Kommissionen, die Schulen besuchen, überprüfen und bewerten. Wer nicht die Kompetenz besitzt, Freiheiten zu nutzen, Angebote kritisch zu bewerten und geschickt auszuwählen, dem kann kaum geholfen werden. Derlei Fähigkeiten vermittelt man nicht mit Zwängen und starken Reglementierungen in der Erziehung und Wertevermittlung, sondern im Gegenteil – durch Erziehung mit viel Herz und zur Selbstständigkeit.

  5. @silvi: Du hast sicher den besseren Einblick. Welche Ideen hast Du denn?

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