Seit langer Zeit mal wieder ein politisch angehauchter Kommentar von mir. Ich bin überrascht über die fast 100% negativen Reaktionen auf die Nachricht über das Ableben der ehemaligen Premierministerin Großbritanniens.
Deswegen an dieser Stelle mein Senf dazu.
Als 1979 Frau Thatcher die Macht auf der Insel übernahm, war ich noch zu jung und politisch uninteressiert. Aber meine gesamte Kindheit spielte sie in meiner Wahrnehmung eine wichtige Rolle, für die ich ihr ewig dankbar sein werde. Sie bezog klare Positionen, vertrat diese Positionen aufrecht und wich von diesen Positionen nicht ab. Damit war sie in meinen Augen ehrenwert. Sie hat nicht nur rumtaktiert, gelogen, betrogen und rumgeheuchelt wie alle heutigen Abklatsche von Politikdarstellerlaien, sondern sie hat klare Positionen aufgezeigt und diese so aufrecht vertreten, daß man heutzutage primitiv ausrufen würde: „Er hat Eier!“. Ging ja nicht, weil Frau und so, aber der Amipräsident hat es dennoch abgemildert gesagt durch seinen Ausspruch: „Englands bester Mann“; dem Rest der Welt wurde das spätestens durch das Attribut „Eiserne Lady“ klar.
Und wenn wir schon bei Ausdrücken unter der Gürtellinie sind, M. Thatcher hatte auch einen A* in der Hose. Nicht nur im Falklandkonflikt, sondern vor allem gegen die übermächtigen und maroden Gewerkschaften. Wie ich heute lesen konnte: „arbeiten wie die Südländer, verdienen wie die Deutschen und Qualität wie bei den Russen“, tja, so sah das damals im UK aus. Diesen gordischen Knoten hat sie durchschlagen und DAS sollte Vorbild für alle Gegner übermächtiger Gewerkschaftsbosse sein.
Freilich hat sie Fehler gemacht. Sicher hat sie Sachen gemacht, die mir überhaupt nicht gefallen.
Ich erinnere mich bspw. an eine Karikatur aus dem Jahr 1990 (kann sie online nicht finden), die Frau Thatcher zeigt, wie sie angesichts der unmittelbar bevorstehenden deutschen Einheit, mit einer (Notfall-)handtasche mit verkniffenem Gesicht in einen Bunkerraum hinabsteigt, während ihr Gemahl ihr hinterherruft: „Siehst du die Dinge nicht allzu pessimistisch?“.
Doch das sei alles verziehen. Sie war aufrecht, sie war geradlinig, sie polarisierte, sie war intelligent, half sogar beim Erfinden leckeren Softeises, wenn sie ihm nicht sogar den Namen gab.
Ich jedenfalls feiere keine Party wegen der Todesmeldung (87 ist ein sogenanntes „gesegnetes“ Alter), ich jubel nicht wie wahrscheinlich alle Gewerkschaftler, sondern ich gedenke mit Trauer und Demut einer Frau, die für das Frauenbild der modernen Welt mehr getan hat, als 10 Alices Schwarzers es je könnten.
Kaum auszudenken, wie schlecht es heute um die britische Industrie stünde, wenn Thatcher sie damals nicht abgeschafft hätte…
Das UK ist dank Thatcher eine fast reine Dienstleistungsgesellschaft, es werden kaum mehr Werte geschaffen. Mitte und Norden des UKs liegen fast brach. Und wenn der Finanzsektor und damit London bergab geht, können sie hier komplett das Licht ausschalten.
Thatcher hatte klare Werte und hat ihre Linie durchgezogen? Herzlichen Glückwunsch, Deutschland hatte auch mal so jemanden…
@krustyDC: Du warst Jahre im UK und hast einen objektiveren Blick auf die Post-Thatcher-Ära. Doch Hand aufs Herz: was hätte ein anderer als Thatcher aus dem UK gemacht?
Warum nicht eine ähnliche Strukturierung als in Deutschland?
Wegen der völlig unterschiedlichen Geschichte? Anglikanische Kirche, Presbyritaner, Kolonien, Oliver Cromwell, Maria Stuart…
Ich seh da ehrlich gesagt keine konkreten logisch zwingenden Zusammenhänge, aber die Diskussion darüber ist müßig 🙂