Madagaskar, das war der ursprüngliche Aufhänger der Reise gewesen. Eine riesige Insel mit vielen endemischen Pflanzen und Tieren, wenn das kein Urlaubsziel ist, was dann?
Ohne Murren zahlte ich das sündhaft teure Visum, ließ Impfungen über mich ergehen, von den Kosten der Reise ganz zu schweigen. Selbst daß die Nachrichten momentan in der Hauptstadt Unruhen mit Toten melden, ließ mich kalt, war sie doch mehr als 200 Kilometer von unserem Hafen in Tamatave entfernt.
Nun endlich war ich am Ziel meiner Träume angekommen. Doch schon das Studium der Hafeninformation stimmte nachdenklich. Ich hatte peinlicherweise bis dato nicht gewußt, daß Madagaskar eines der ärmsten Länder der Welt ist. Nun, das sollte ich gleich live und in Farbe erleben. Doch erstmal gingen wir von Bord. Die arme Astor hatte gut gelitten in den letzten Tagen und überall war unter abgeplatzer Farbe der Rost schon fleißig am Nagen. Doch im Moment des Feststellens eilten schon eifrige Besatzungsmitglieder mit großen Farbeimern herbei bzw. seilten sich am Rumpf ab, um die Schäden auszubessern.
Um 8:00 Uhr begann unser Ausflug zum Botanischen Garten und Tierpark Ivoloina. Wir bestiegen einen zum Bus umfunktionierten altersschwachen Transporter. Jetzt wußten wir endlich, wie sich die Menschen in den überall zu sehenden Massentaxis fühlen. Glücklicherweise saß ich vorn neben dem Fahrer, der leider keine gängige Sprache beherrschte. Es gab für zwei solcher Gefährte nur einen Reiseführer, ja, hier war es nicht so perfekt organisiert, wie bisher gewohnt. Unser Begleiter sprach ein leidliches Englisch. Wir hielten alle 10 Minuten an, dann rannte er in den anderen Bus, damit die dortigen Insassen auch etwas erfuhren. Improvisation ist eben alles.
Als erstes fielen mir die zahllosen Rikschas auf. Nicht etwa nur Fahrradrikschas, nein, solche, bei denen sich ein Mensch wie ein Pferd an die Deichsel hängt und dann im Laufschritt seinen Passagier durchs Getümmel befördert. Ich war gelinde gesagt geschockt. Ich dachte, so etwas sei vor 100 Jahren ausgestorben.
Auf Nachfrage erfuhr ich, daß eine Fahrt mit einer Rikscha umgerechnet 0,50 EUR/Stunde kostet, unvorstellbar! Wir passierten das Zentrum, es wimmelte von Menschen. Unser Fahrer steuerte mit stoischer Ruhe und manch sanftem Hupen durch ein Chaos von Fußgängern, Rikschas aller Art, Fahrrädern, Mofas, Kleinwagen und seltenen Lastern. Fast alle Autos stammten offensichtlich noch aus der französischen Kolonialzeit. Ich schloß recht häufig die Augen, um den Zusammenstoß nicht sehen zu müssen, doch wie durch ein Wunder kamen wir ohne Blessuren durchs Gewühle, Respekt.
Nach der Passage einer schönen Palmenallee wurde es ländlicher. Überall rannten junge Hühner herum, die noch zu dürr zum Schlachten waren, es standen Buckelrinder am Rain und aus erbärmlichen Hütten wurden allerlei Sachen wie Obst, Autobatterien, Töpfe und Mittagessen feilgeboten.
Am Abzweig zum Botanischen Garten mußten wir warten, da die Parkplätze überfüllt waren. Von einer Brücke schauten wir herunter auf den großen Fluß Ivoloina, nach dem der Park benannt wurde. Ich traute meinen Augen kaum. Ein Mann tauchte in der Flußmitte nach Sand, den er mit einem ollen Behälter in einen Einbaum schöpfte. Am Ufer waren Sandhaufen zu sehen, die von einem halben Dutzend Kinder mit irgendwelchen Schaufeln auf einen LKW geschippt wurden. Primärindustrie vom Primitivsten.
Voll Schreck dachte ich daran, wieviel hundert „Arbeitsplätze“ ein einziger Sandbagger vernichten würde.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Wir mußten auf dem Weg zum Garten noch eine schlaglochübersäte Straße durch ein Dorf nehmen. Dort waren beinahe alle Leute damit beschäftigt, aus, mit großen Handwagen herbeigeschleppten, großen Steinen mit einem Hammer Schotter herzustellen.
Deutlich zu sehen war, daß Madagaskar nach seinem Sozialismusexperiment nun ein Bevölkerungsproblem hat. Ich habe den ganzen Tag nicht einen alten Menschen gesehen. 75 % der Bevölkerung sind arbeitslos. Über 60% der Einwohner sind unter 20 Jahre alt, berichtete unser Reiseführer. Im Schnitt habe jedes Paar 6 Kinder. Die Bevölkerung explodiere, man käme mit dem Bau von Schulen und der Ausbildung von Lehrern schlicht und ergreifend nicht nach. Mittlerweile müßte man sogar Reis, das Hauptnahrungsmittel der Bewohner, aus Südostasien einführen. Und das in einem riesigen Land, in dem selbst ein Spazierstock ausschlägt, wenn man ihn in die Erde steckt und in dem man auf Grund des Klimas drei Ernten im Jahr einfahren kann.
Wie soll man diese Probleme in den Griff bekommen? Nun, Tourismus mag ein kleiner Beitrag sein, aber da muß sich auch noch viel zum Besseren wenden.
Bestürzt von der bitteren Armut, kamen wir am Naturpark an. Dort sahen wir exotische Pflanzen, wie Vanille-, Lampenputzer- und Affenbrotbäume. Dazwischen erfreuten uns immer wieder Lemuren, die innerhalb und außerhalb von Käfigen ihre Spiele trieben. Wir bestaunten die Chamälions bei ihren Tarnungen und sahen allerlei weiteres Getier.
Die Temperaturen stiegen auf 35 Grad. Bei nahezu 100% Luftfeuchtigkeit sahen wir alle recht zerstört aus, als wir den tollen Naturpark verließen. Zurück ging es wieder vorbei an den Hütten. Ich schaute in so manche hinein, in ihnen war – nichts. Nichts, außer einer Kochstelle.
Gegen Mittag erreichten wir wieder die Stadt. Die Kinder hatten gerade Schulschluß und liefen lachend in ihren Schuluniformen nach Hause. Wenige Minuten vorher sahen wir halbnackte Kinder und junge Mütter mit Baby auf dem Rücken beim Steineklopfen und dann diese Bilder, unglaublich diese Gegensätze.
Der Bus hielt auf dem großen Marktplatz, sofort wurden wir von dutzenden Frauen und Kindern massiv angebettelt: „Monsieur, money, Mister money, Monsieur, Monsieur money.“ murmelten sie endlos. Ich hatte so etwas ja noch nie erlebt und wußte nicht, was ich machen sollte. Glücklicherweise verscheuchte der Fahrer, der sich offensichtlich seiner Landsleute schämte, die Bettler. Unfaßbare Armut überall – und ich hatte bis vor wenigen Stunden nicht geahnt, auf was ich mich da einlasse. Völlig zerstört (Kleidung, Frisur und Glaube an die Welt) ging ich wieder an Bord. Der Appetit aufs Mittagessen war einem gründlich vergangen. Die Bilder gingen einem nicht aus dem Kopf. So eine tolle Pflanzenwelt, so eine Blütenpracht und dann überall diese bittere Armut und ein offenkundiges Unvermögen, diese zu bekämpfen.
Am Abend war das auch Hauptthema beim Essen und anschließendem Beisammensein. Nach solchen Eindrücken ändern sich durchaus Vorurteile, Meinungen und relativieren sich Jammereien und Finanzkrisen.
Solche nützlichen Informationen bekamen wir immer für jeden Hafen.
Rikschas.
Ein Armeeangehöriger an der schönen Palmenallee.
Auf der Straße unterwegs.
Ein typisches Dorf mit Astortouristen.
Aus Steinen mach Schotter.
Frauen waschen Geschirr und Wäsche im Fluß. Sie wirken glücklich, oder?
Ein Mann befüllt einen Einbaum mit Sand vom Grund des Flusses.
Kinder schippen Sand auf einen LKW.
Üppige, prachtvolle Natur an allen Ecken und Enden.
Dieser Lemur lebt außerhalb des Käfigs.
Unser Reiseführer Er hat neun Brüder und eine Schwester.
Ein schöner Schnappschuß von einer der zahlreichen Schildkröten des Parks.
Nicht nur Chamäleons können sich gut tarnen, auch Eidechsen können das prima.
Wunderbar getarntes Chamäleon.
Wir überholen eine kleine Herde Buckelrinder. Man achte auf den herrlichen Schatten.
Der große Marktplatz von Tamatave.
Die Astor im Hafen von Tamatave.
Zurück über provisorisch verlegte Gleise.
Mrz 052009
Hallo Jo!
Voller Freude lese ich jeden morgen deine neuen Reiseberichte! So eine Reise würde mir auch sehr viel Spaß machen.
Wir müssen uns bald einmal wieder treffen, damit du mehr davon berichten kannst.
Bei den Tierbildern ist dir ein kleiner Fehler unterlaufen. Bei dem Bild mit der Beschreibung „Wunderbar getarntes Chamäleon“ handelt es sich nicht um ein Chamäleon sondern um eine Eidechse, möglicherweise um eine Halsbandeidechse, da bin ich mir aber nicht sicher…
Liebe Grüße
Jens