Dienstag, 01.08.2006 – Ny Alesund/Spitzbergen und Passage des Hornsund-Fjords
Karte von Svalbard.
Heute stehe ich extra etwas zeitiger auf, denn schon 8:00 Uhr sollen wir in Ny Alesund anlegen. Der nördlichste Punkt unserer Reise ist damit erreicht. Von Nordisland aus haben wir 961 Seemeilen (1779 Kilometer) zurückgelegt. Eigentlich sollten wir ja nach dem Besuch Ny Alesunds noch bis zur Packeiszone gen Norden fahren, doch leider wurde, trotz großem Protests vieler Passagiere, genau dieser Punkt von unserer Reise gestrichen. Wir erinnern uns, daß das Schiff wegen eines Motorschadens mit einem Tag Verspätung zu dieser Fahrt startete. Insofern muß natürlich auch ein Ausflugsziel gestrichen werden. Nun waren viele extra wegen des Besuchs des Eismeeres, wegen Eisschollen, wegen Eisbären usw. diese Tour gebucht und genau dieser Punkt wurde gestrichen. Aber irgendwie konnte der Veranstalter ja nur verlieren, denn eine gute Lösung des Problems gab es sowieso nicht. Naja, und wenn man schon nur einen Tag auf Spitzbergen weilt, dann wenigstens mitnehmen, was man mitnehmen kann. Das Wetter ist sonnig. Draußen sind 3 Grad und es bläst ein kräftiger Wind. Kaum ist die Reeling heruntergelassen, gehen wir von Bord und setzen den Boden auf eine der nördlichsten Siedlungen der Welt. Im Winter überdauern 30 bedauernswerte Einsame in ewiger Dunkelheit auf diesem trostlosen Flecken Erde und im Sommer sind es immerhin 120 Menschen, die sich um die 1.000 Touris kümmern, die irgendwelche Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge hierherbringen. Wir halten uns abseits der Massen und wandern lange auf ausgewiesenen Pfaden über die Insel.
Trotz langer Unterhosen und dicker Jeans friere ich an den Waden, so stark pustet der Wind in Bodennähe. Das Leben kann hier auf Daur keinen Spaß machen. Trotzdem erspähen wir einige Algen und Flechten und ab und zu sogar ein kümmerliches Moospflänzchen. Immerhin ist es ja mitten im Hochsommer. Einige Vögel sehen uns mißtrauisch an. Sie brüten auf purem nackten Geröll. Material zum Nestbauen gibt es schlichtweg nicht. In der Nähe der Wohnungen streunen einige Polarfüchse herum und beobachten uns aus sicherer Ferne. Trotz strahlendem Sonnenschein ist es saukalt, vor allem durch den heftigen, böigen Wind.
An den Bauten erkennt man, das hier die Natur gnadenlos ist. Alles ist farblos, gekrümmt, an die Erde gedrückt und von den Naturgewalten gebeutelt. Daß hier dennoch Kohle abgebaut wurde, nötigt einem Respekt ab, aber man bedauert automatisch die Menschen, die das machen mußten.
Heute ist auch Tag der Superlative, wir sehen also die nördlichste Siedlung der Welt, die dauernd bewohnt ist, das nördlichste Hotel der Welt und das nördlichste Postamt der Welt, in dem hoffentlich alle meine Postkarten abgestempelt wurden. Ok, irgendwie ist hier alles am nördlichsten in der Welt, denn wenn man weiter gen Norden vorstößt, dann kommt da nur noch der Nordpol. Deshalb starteten ja im Mai 1926 auch Roald Amundsen und Umberto Nobile ihre legendäre Fahrt mit der Norge zum Nordpol von hier aus.
Am Amundsen-Denkmal mischen wir uns heimlich unter eine Gruppe amerikanischer Studenten, die per Flugzeug von Kanada aus hierherkamen. Ihr schwedischer Reiseführer erzählt sehr spannend und anschaulich, wie die Eroberung des Pols von statten ging. So wissen wir jetzt auch, daß am Grunde des Nordpols eine schwedische Münze liegt, die ein Expeditionsmitglied (der Funker) in Ermangelung seiner Landesfahne über der Stelle abwarf.
Die Warnungen vor angriffslustigen Eisbären, die wir bisher nur belächelt hatten, erhalten Gewicht durch die Ausrüstung der Touristenführer, die alle gut bewaffnet sind und auch sonst beeindruckend ausgestattet sind. Wir wundern uns, wo die norwegischen, amerikanischen und japanischen Touristengrüppchen herkommen, denn außer unserer Arielle liegt kein Schiff im Hafen. Später erfahren wir, daß sie per Motorschlitten vom nahegelegenen Flughafen Longyearbyen hierherkamen.
Obwohl keiner wieder an Bord möchte ist das doch vernünftiger, denn wir sind alle bis auf die Knochen durchfroren. 10:30 Uhr heißt es Leinen los und in gleißender Sonne verläßt unser Schiff diesen einsamen Ort. Da die Sonne scheint, ist das Wasser satt blau und die schneebedeckten Berge und die Gletscher glitzern. Man kann sich gar nicht sattsehen. Dennoch finden wir natürlich ein Stunde Zeit fürs Skatspiel. Das Abendbrot lassen wir diesmal ausfallen, denn die Passage des Fjords ist viel interessanter. Eisschollen trudeln vorbei, bis zu 30 Meter hohe Gletscher ergießen sich ins Meer und darüber thronen kohlrabenschwarze, kahle Bergkuppen. Unwirklich und unirdisch schön. Solche Bilder vergißt man sein Leben nicht, so etwas macht das Leben noch lebenswerter und das ist einer der Hauptgründe, warum ich solche Reisen mache.
Allgegenwärtiges Warnschild auf Ny Alesund. Gesehen haben wir aber keinen Einzigen.
Blick über den gesamten Ort Ny Alesund, im Hintergrund ankert unser Schiff.
Ein Gletscher ergießt sich ins Meer. Rechts vorne ist der Mast, an dem das Luftschiff Norge bei seiner Nordpolreise andockte.
Das GPS meldet seine nördlichsten Werte. Der Nordpol ist nur noch ein Etmal entfernt.
Sehr karge Landschaft in Ny Alesund.
Das Grün und Braun sind Flechten. Im Hintergrund ein Gletscher.
Suchbild: in diesem Bild sind mindestens zwei Polarfüchse und mehrere Vogelkolonien verborgen.
Der wohlausgerüstete Reiseführer am Denkmal von Amundsen. Man achte auf das Gewehr.
Das Heck der Arielle, dahinter die Küste Svalbards.
Im Hornsund-Fjord.
Ein schroffer Gipfel im Hornsund.
Nicht ganz so echter Eisbär im Hornsund-Fjord.
Mai 212008