Mrz 272006
 

Lembuecher
Was ich schon geraume Zeit befürchtete ist nun eingetreten. Stanislaw Lem ist heute im gesegneten Alter von 84 Jahren gestorben.
Jeder, der mich kennt, sollte wissen, wie nahe mir diese Nachricht geht. Deshalb auch an dieser Stelle der Versuch eines Nachrufes.
Stanislaw Lem war, meiner Meinung nach, der letzte Universalwissenschaftler und der letzte gesamtheitlich denkende Mensch des Abendlandes.
Es kann, der heutigen Zeit geschuldet, nie wieder einen so durchgeistigten Menschen geben. Stanislaw Lem war in allen relevanten Naturwissenschaften zu Hause, war Kybernetiker, als noch niemand wußte, was das überhaupt ist, war Philosoph ebenso wie Theologe, war Mediziner von Beruf und natürlich literarisch hochbegabt, auch wenn er nicht die kurze Schärfe und Brillianz eines Jorge Luis Borges erreichen konnte.
Wo alle selbsternannten Koryphäen und auch Nobelpreisträger mit ihren Zukunftsprognosen immer völlig danebenlagen, prognostizierte Stanislaw Lem aus dem miefigen, von der Außenwelt abgesperrten kommunistischen Polen in den 1950er und 1960er Jahren Trends, Tendenzen und Zukunftsszenarien, die erschreckend detailliert und erschreckend genau, schon lange Wirklichkeit wurden oder doch bald werden.
Die Themen, mit denen sein Leben unmittelbar in Berührung kam, seine Herkunft, sein Medizinstudium und das Erleben der deutschen Besatzung in einem Warschauer Ghetto, wurden alle sorgsam in vielen Werken verarbeitet. Aber niemals wurde ein Zeigefinger erhoben, das machte mir den Autor schon als Kind symphatisch.
Mit der Information als wahre Revolution in der Wirtschaft und im Denken beschäftigte sich Stanislaw Lem zu einer Zeit, als der erste Sputnik die Erde noch nicht verlassen hatte.
Dieses Thema beschäftigte ihn auch noch im hohen Alter, man lese nur seine Essays bei Telepolis.
Ich habe die Bücher Lems von Kindheit an geliebt. Der Hauptgrund war wohl, daß außer mir niemand in meinem Alter damit etwas anfangen konnte und daß ich, bei Reflexionen über Buchinhalte, spüren konnte, daß meine Eltern mich immer mehr ernst nahmen.
Mit 14 Jahren hatte ich die Bibliothek ausgelesen und wagte mich an seine Werke, die nun nichts mehr mit Science-Fiction zu tun hatten. Durch die beiden Bände der „Philosophie des Zufalls“ kämpfte ich mich mit danebenliegenden Lexika und Lateinwörterbuch durch, verstand nur Bruchteile, verfluchte den Autor und las es nochmals. Irgendwann lüfteten sich die Nebel und ich erblickte einen klaren Gedankenhorizont. Das war vor dem Abitur das erste Mal, daß ich merkte, daß Wissen schön sein kann.
Ja, ich verdanke auch Herrn Lem, daß ich das wurde, was ich heute bin.
Und nicht zuletzt schafften seine Bücher es auch, mir die lange Armeezeit zu verkürzen und meinen Geist in dieser öden Zeit wach zu halten.
Meine beiden Lieblingsbücher, ich besitze sein Gesamtwerk, sind „Transfer“ und „das Fiasko“.
„Transfer“, ein schmales Büchlein, habe ich mindestens 30x gelesen und war jedesmal aufs Neue von den humanen und weitreichenden Gedanken fasziniert. Vielleicht mag ich das Bändchen ja auch deshalb, weil es das einzige Buch Lems ist, welches sich „richtig“ um das Thema Liebe und Frauen kümmert. Der wahre Grund wird aber sein, daß es das einzige Buch Lems ist, bei dem eine Stelle vorkommt, bei der ich immer, aber wirklich immer, verstohlen Tränen aus den Augenwinkeln wische.
Ich meine die Stelle, an der der Held der Geschichte mit dem Enkel eines Ingenieurs redet, der beim Raumschiffbau vor über 100 Jahren mit dabei war.
Er erinnerte sich an ein Vorschulkind und ihm gegenüber saß ein mittlerweile 130jähriger mumienhafter Greis. Der Moment, in dem der alte Mann davonschlurft, läßt mich immer wieder schaudern. Wer das Büchlein nicht kennt -> Lesebefehl
Im „Fiasko“ hingegen faszinieren mich bis heute ungebrochen am meisten die brillianten Gedanken, die sich der Meister, ein jüdischer Pole, um die Zukunft der katholischen Kirche machte. Da ist das eigentliche Thema des Buches, die reelle Kontaktaufnahem mit einer unirdischen Zivilisation, fast schon zweitrangig für mich.
Doch auch von seinen anderen Werken möchte ich nicht auf ein einziges verzichten. Sie sind mir alle wertvoller denn je und aus traurigem Anlaß werde ich sie wieder einmal zu Hand nehmen.
Letztes Jahr ahnte ich schon Schlimmes, als ich erfuhr, daß Stanislaw Lem fast taub war und sein Sohn mitteilte, daß es um die Gesundheit seines Vaters schlecht stehe.
Nun ist er von uns gegangen, zornig sicherlich, daß er nicht noch einiges bewegen konnte, und er bewegte Vieles, aber sicher auch glücklich darüber, nicht mehr erleben zu müssen, was er schon vor 50 Jahren prophezeite und was sich jetzt mit Klongeschichten, Big-Brother-Shows, dem Mobilfunk- und Jugendwahn, schönheitschirurgischen Schnippeleien, DRM und TCPA-Geschichten langsam am Horizont zu einem Moloch zu formen beginnt.
Leider begegnete ich Stanislaw Lem nie persönlich. Dieser langjährige Wunsch ist nun unerfüllbar geworden.
Ruhen Sie in Frieden. Ich werde immer Ihrer gedenken!
In Ihren Werken leben Sie weiter.
Abschied

 Posted by at 7:04 pm

  One Response to “Ruhe in Frieden – Zum Tode von Stanislaw Lem”

  1. Danke! 🙂

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