Sonnabend, 05.08.2006 – Geiranger
Heute wird draußen und zeitig gefrühstückt. Nicht, weil das Wetter so toll ist, noch sind 13 Grad, sondern, weil wir geruhsam durch einen typischen norwegischen Fjord gleiten. Für diesen muß sich Slartibartfaß besonders Mühe gegeben haben. Unser, doch eher üppig großes Schiff wirkt zwischen den kilometerhohen Felssteilen wie ein Spielzeug. Wasserfälle stürzen beidseits nieder und ab und zu kann man in schwindelerregender Höhe auch ein Haus oder eine Scheune erblicken. Rätselhaft, wie man dort hingelangen soll. Der anfänglich sichtbehindernde Nebel wird schnell von der Sonne aufgefressen und hinter der nächsten Biegung bei den 7 Schwestern und dem Freier (poetische Namen für 8 Wasserfälle, die sich gegenüberliegen) ankert die „Mona Lisa“, das Kreuzfahrtschiff, welches kürzlich durch sein wiederholtes Aufgrundlaufen in die Schlagzeilen geriet. Wir winken den Mona-Lisa-Reisenden eifrig zurück. Kurz darauf liegen wir vor dem Örtchen Geiranger auf Reede. Stolze 547 Seemeilen (1.013 Kilometer) haben wir seit Tromso zurückgelegt. Statt der geplanten 11:00 Uhr ist es erst 08:45 Uhr. Gewitzt durch die im Sommer täglich einlaufenden Kreuzfahrschiffe aus aller Welt stellt das aber für die Geiranger kein Problem dar, denn binnen weniger Minuten sind ausreichend Busse und Reiseführer bereitgestellt. Wir werden (das erste und einzige Mal auf dieser Tour) ausgetendert. Auch heute gehen wir getrennte Wege, meine Mutter ist per Bus Richtung Adlerklippe und Dalsnippa unterwegs und ich gehöre zu einer kleinen Schar wackerer Wandersleute, die etwas im Gebirge wandern wollen.
Gesagt – getan, ein Bus bringt uns an den Anfang eines Wanderweges. Unser kleiner Pulk setzt sich bergauf in Marsch. Unser Reiseführer heißt Norbert und ist ein deutscher Student. Er geht diese und ähnliche Touren im Sommer wöchentlich viermal. Kein Wunder, daß er fit wie ein Turnschuh ist und die Hänge hoch- und runterläuft wie eine Gemse. Schnell sind wir über 500 Höhenmeter. Der Aufstieg ist nicht kompliziert, wohl aber steil. Da es das Wetter zu gut mit uns meint, es sollen noch 28 Grad werden, schwitzen wir alle wie verrückt. Ein uns entgegenkommendes wanderndes Ehepaar wird ob seiner knappen Bekleidung nicht belächelt sondern beneidet. Bald fallen auch bei uns mehr und mehr Hüllen, allzu heiß wird uns beim Aufstieg zu unserem Ziel, einem gewaltig tosendem Wasserfall in knapp 1.000 Metern Höhe. Schließlich hatten wir gegen Mittag den Aufstieg bewältigt und ruhten uns erst einmal aus, bevor ein paar Wagemutige, mich eingeschlossen, sich auf die Innenseite des Wasserfalls begeben. Gefährlich war es nicht, das eiskalte Wasser sorgt für die dringend benötigte Abkühlung. Wir wandern zu einer Berghütte, in der es Kaffee, Kuchen und einen kleinen Bericht über Geiranger gibt. Wir erfahren, daß bei einem Lawinenunglück in den 1960er Jahren der Betreiber der Hütte und sein Sohn verschüttet wurden. Bei der Rettungsaktion kamen dann noch 7 weitere Geiranger ums Leben. Wenn man sich vor Augen führt, daß damals im Winter keine 70 Leute dort wohnten, dann waren auf einen Schlag 12% der Bevölkerung tot. Kein Wunder, daß in nordischen Ländern Menschenleben höher bewertet werden als in bspw. Südostasien.
Für einige Unentwegte bietet Norbert noch eine halbstündige Zusatzwanderung zu einem Aussichtspunkt an. Nur wenige sind zu erschöpft für diese kleine Tour, dafür verpassen sie aber auch etwas.
So sehen wir auf einmal, ich kann meinen Augen kaum trauen, zwei Lamas, die sich um den Fortbestand ihrer Art kümmern. Damit kann man ja mitten in Norwegen nun wirklich nicht rechnen. Wir sind aber alle amüsiert und wandern schwätzend zum Aussichtspunkt weiter. Mit einem Ehepaar, welches mit Sohn und Tochter gemeinsam die Reise unternimmt (alle vier wandern mit), komme ich intensiver ins Gespräch. Es stellt sich heraus, daß sie ein Kaff weiter ebenfalls in Rheinhessen wohnen. Die Welt ist eben doch ein Dorf.
Unser Schiff, welches stolz im Fjord ankert, wird von oben ausgiebig fotografiert und wir machen uns auf den Heimweg. Mittlerweile ist es bereits 16:30 Uhr. Ein Glück, daß wir so zeitig ankamen, so hatten wir einen echten, ausführlichen Wandertag. Ich bin begeistert.
Kaum an Bord, legt die Arielle schon ab. Ich eile, frisch geduscht, an Deck und verlasse es keine Minute, während wir gemächlich die über 80 Kilometer zum freien Meer zurücklegen. Diese Stunden waren mit die schönsten der Reise und sicher auch Höhepunkte in meinem Leben. Die Farbspiele, die die sinkende Sonne auf die Bergkuppen und das Wasser malt, die rohe, rauhe und unberührte Naturpracht der Bergriesen, das kristallklare Wasser des Fjords, die Wasserfälle und dazu passend das herrliche Wetter prägen sich mir für mein ganzes Leben ein.
22:00 Uhr findet noch ein Galadinner im großen Restaurant statt. Wir haben auf dem Sonnendeck zu Abend gegessen, um ja nichts von der Fjordausfahrt zu verpassen, und sind nicht hungrig. Dennoch eile ich kurz runter ins Restaurant, um ein paar Bilder zu schießen. Ich bequatsche die Reiseleiterin so lange, bis mir erlaubt wird, als Erster Bilder vom ungestürmten Büffet zu machen. Gegessen habe ich dann aber doch nichts, ich war ja noch satt vom Abendbrot.
Wir sind noch lange draußen und bewundern die schroffe und abwechslungsreiche Küstenlinie Norwegens. Unterdessen berichtet meine Mutter von ihrem Ausflug:
Ihre Reise führte zuerst zur Adlerkehre. Der erste Halt wurde am Berg Dalsnibba eingelegt. Der Reiseführer war auch ein Deutscher, diesmal ein Franke. Am Fuße des Dalsnibba ist ein herrlicher See, der unverschämt kobaltblau funkelt. Der Reiseführer berichtet, daß die Farbe daher rührt, daß das Seewasser viel Kobalt enthält. Aha, daher also!
Die liebliche Alm neben dem See wird durch einen Verein in ihrem prächtigem Zustand erhalten. Der Reiseführer spart nicht mit witzigen Geschichtchen. So befindet sich im Nachbartal der Jungfernstein. Deiser heißt so, weil er in seiner Mitte ein Loch von 50 Zentimetern Durchmesser hat. Wenn nun, nach der Kirmes, die Mädels nicht mehr durch den Stein schlüpfen können, dann wird das Aufgebot bestellt.
Weiter ging die Reise über eine private Mautstraße, die fast ausschließlich als Schotterpiste angelegt ist. Acht Jahre dauerte der Bau dieser Straße, die meisten Arbeiten konnten nur von Hand ausgeführt werden. Auch bei „meiner“ Straße machte uns der Reisebegleiter auf die Sprengbohrungen aufmerksam, durch die in den Fels die Straße getrieben wurde. Ein Glück, daß im späten 19. Jahrhundert im Nachbarland Schweden Herr Nobel das Dynamit erfand.
Aber zurück zur heutigen Mautstraße; sie ist furchterregend steil und übelkeitserregend, fast allen Reisenden wurde blümerant zumute. Satte 25 Minuten benötigte der Bus, dessen Fahrer Roy, wie alle anderen Busfahrer dieser Region auch, für diese Strecke eine extra Schulung (jährlich muß ein Leitsungsnachweis erbracht werden) erhielt. Rekord fürs Mountainbike 2006: 1 Stunde und 6 Minuten, ein Jogger brauchte dazu nur 23 Minuten länger als der Radfahrer.
Es gibt sogar einen Witz über die Strecke:
Ein schwedischer Gastarbeiter fuhr diese Mautstraße immer rückwärts hinauf. Darauf angesprochen, warum er das täte, antwortete er „Da oben ist immer so viel los, da kann man nicht wenden.“ Eines Tages nun fährt der Schwede die Strecke rückwärts herunter? „Aja, heute war oben alles leer, da konnte ich wenden.“
An einem herrlichen Aussichtspunkt zur Fjordseite ist eine riesige Hochzeitsgesellschaft zu Gange. Das Paar ist in Tracht. Weiter geht es über 11 gewaltige Kehren zur Adlerkehre. Auch hier ist der Ausblick atemberaubend.
Ihr Reiseführer verabschiedet sich mit dem Versprechen, daß es am folgend Tag in Bergen, unserem nächsten Ziel, regnen wird.
Schauen wir mal…
Die Mona Lisa ankert auch in Geiranger.
Eine Karte vom Geiranger-Fjord. Zum Vergrößern aufs Bild klicken. Die rot eingemalte Fläche bin ich abgewandert.
Die Liste aller Kreuzfahrtschiffe, die 2006 in Geiranger Station machen. Ohne diese Schiffe wäre das ein gottverlassenes Fleckchen Nichts. So finden ca. 1.000 Leute, die meisten davon Gastarbeiter, Arbeit.
Der Ort Geiranger. Im Hintergrund ein riesiglanger Wasserfall.
Die Arielle auf Reede im Geiranger-Fjord.
Holländer, die sind überall, aber auch ein Italiener aus Turin schaffte es nach Norwegen.
An dieser Stelle beginnt unsere Wanderung. Zu unseren Füßen das Örtchen und unser Schiff.
Hoch hinaus. So weit sind wir schon gewandert.
Und noch weiter geht es aufwärts.
Das ist unser Ziel: ein Wasserfall.
Diese beiden Norweger haben die passende Bekleidung für diesen heißen Tag.
Am Ziel: erst einmal ausruhen. Im Hintergrund schneebedeckte Berge.
Was hab ich geschwitzt.
Unser Ziel ist erreicht.
Norwegische Bergziegen.
Der Mann in rot ist Reiseführer Norbert. Und ja, die Lamas machen tatsächlich das, was man denkt.
Unser Schiff aus der Vogelperspektive.
Der Geiranger-Fjord. Am rechten Rand kann man die Serpentinen erkennen, die den Berg erklimmen.
Norwegische Hochzeitstracht.
Bild auf dem Dalsnibba.
Der Prinzenwasserfall. Also für mich sieht das eher wie eine Schnapsflasche aus.
Die sieben Schwestern sind gegenüber des Prinzen, aber momentan etwas wasserarm.
Ausfahrt aus dem Geiranger-Fjord.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Drei Mitglieder des Reiseveranstalters vor dem Avalon- Restaurant.
Feisters Abend-Diner mit allem Schnickschnack. Obwohl niemand Hunger gehabt haben kann, war das Buffet nach 40 Minuten leer.