Sonnabend, 05.08.2006 – Geiranger
Heute wird draußen und zeitig gefrühstückt. Nicht, weil das Wetter so toll ist, noch sind 13 Grad, sondern, weil wir geruhsam durch einen typischen norwegischen Fjord gleiten. Für diesen muß sich Slartibartfaß besonders Mühe gegeben haben. Unser, doch eher üppig großes Schiff wirkt zwischen den kilometerhohen Felssteilen wie ein Spielzeug. Wasserfälle stürzen beidseits nieder und ab und zu kann man in schwindelerregender Höhe auch ein Haus oder eine Scheune erblicken. Rätselhaft, wie man dort hingelangen soll. Der anfänglich sichtbehindernde Nebel wird schnell von der Sonne aufgefressen und hinter der nächsten Biegung bei den 7 Schwestern und dem Freier (poetische Namen für 8 Wasserfälle, die sich gegenüberliegen) ankert die „Mona Lisa“, das Kreuzfahrtschiff, welches kürzlich durch sein wiederholtes Aufgrundlaufen in die Schlagzeilen geriet. Wir winken den Mona-Lisa-Reisenden eifrig zurück. Kurz darauf liegen wir vor dem Örtchen Geiranger auf Reede. Stolze 547 Seemeilen (1.013 Kilometer) haben wir seit Tromso zurückgelegt. Statt der geplanten 11:00 Uhr ist es erst 08:45 Uhr. Gewitzt durch die im Sommer täglich einlaufenden Kreuzfahrschiffe aus aller Welt stellt das aber für die Geiranger kein Problem dar, denn binnen weniger Minuten sind ausreichend Busse und Reiseführer bereitgestellt. Wir werden (das erste und einzige Mal auf dieser Tour) ausgetendert. Auch heute gehen wir getrennte Wege, meine Mutter ist per Bus Richtung Adlerklippe und Dalsnippa unterwegs und ich gehöre zu einer kleinen Schar wackerer Wandersleute, die etwas im Gebirge wandern wollen.
Gesagt – getan, ein Bus bringt uns an den Anfang eines Wanderweges. Unser kleiner Pulk setzt sich bergauf in Marsch. Unser Reiseführer heißt Norbert und ist ein deutscher Student. Er geht diese und ähnliche Touren im Sommer wöchentlich viermal. Kein Wunder, daß er fit wie ein Turnschuh ist und die Hänge hoch- und runterläuft wie eine Gemse. Schnell sind wir über 500 Höhenmeter. Der Aufstieg ist nicht kompliziert, wohl aber steil. Da es das Wetter zu gut mit uns meint, es sollen noch 28 Grad werden, schwitzen wir alle wie verrückt. Ein uns entgegenkommendes wanderndes Ehepaar wird ob seiner knappen Bekleidung nicht belächelt sondern beneidet. Bald fallen auch bei uns mehr und mehr Hüllen, allzu heiß wird uns beim Aufstieg zu unserem Ziel, einem gewaltig tosendem Wasserfall in knapp 1.000 Metern Höhe. Schließlich hatten wir gegen Mittag den Aufstieg bewältigt und ruhten uns erst einmal aus, bevor ein paar Wagemutige, mich eingeschlossen, sich auf die Innenseite des Wasserfalls begeben. Gefährlich war es nicht, das eiskalte Wasser sorgt für die dringend benötigte Abkühlung. Wir wandern zu einer Berghütte, in der es Kaffee, Kuchen und einen kleinen Bericht über Geiranger gibt. Wir erfahren, daß bei einem Lawinenunglück in den 1960er Jahren der Betreiber der Hütte und sein Sohn verschüttet wurden. Bei der Rettungsaktion kamen dann noch 7 weitere Geiranger ums Leben. Wenn man sich vor Augen führt, daß damals im Winter keine 70 Leute dort wohnten, dann waren auf einen Schlag 12% der Bevölkerung tot. Kein Wunder, daß in nordischen Ländern Menschenleben höher bewertet werden als in bspw. Südostasien.
Für einige Unentwegte bietet Norbert noch eine halbstündige Zusatzwanderung zu einem Aussichtspunkt an. Nur wenige sind zu erschöpft für diese kleine Tour, dafür verpassen sie aber auch etwas.
So sehen wir auf einmal, ich kann meinen Augen kaum trauen, zwei Lamas, die sich um den Fortbestand ihrer Art kümmern. Damit kann man ja mitten in Norwegen nun wirklich nicht rechnen. Wir sind aber alle amüsiert und wandern schwätzend zum Aussichtspunkt weiter. Mit einem Ehepaar, welches mit Sohn und Tochter gemeinsam die Reise unternimmt (alle vier wandern mit), komme ich intensiver ins Gespräch. Es stellt sich heraus, daß sie ein Kaff weiter ebenfalls in Rheinhessen wohnen. Die Welt ist eben doch ein Dorf.
Unser Schiff, welches stolz im Fjord ankert, wird von oben ausgiebig fotografiert und wir machen uns auf den Heimweg. Mittlerweile ist es bereits 16:30 Uhr. Ein Glück, daß wir so zeitig ankamen, so hatten wir einen echten, ausführlichen Wandertag. Ich bin begeistert.
Kaum an Bord, legt die Arielle schon ab. Ich eile, frisch geduscht, an Deck und verlasse es keine Minute, während wir gemächlich die über 80 Kilometer zum freien Meer zurücklegen. Diese Stunden waren mit die schönsten der Reise und sicher auch Höhepunkte in meinem Leben. Die Farbspiele, die die sinkende Sonne auf die Bergkuppen und das Wasser malt, die rohe, rauhe und unberührte Naturpracht der Bergriesen, das kristallklare Wasser des Fjords, die Wasserfälle und dazu passend das herrliche Wetter prägen sich mir für mein ganzes Leben ein.
22:00 Uhr findet noch ein Galadinner im großen Restaurant statt. Wir haben auf dem Sonnendeck zu Abend gegessen, um ja nichts von der Fjordausfahrt zu verpassen, und sind nicht hungrig. Dennoch eile ich kurz runter ins Restaurant, um ein paar Bilder zu schießen. Ich bequatsche die Reiseleiterin so lange, bis mir erlaubt wird, als Erster Bilder vom ungestürmten Büffet zu machen. Gegessen habe ich dann aber doch nichts, ich war ja noch satt vom Abendbrot.
Wir sind noch lange draußen und bewundern die schroffe und abwechslungsreiche Küstenlinie Norwegens. Unterdessen berichtet meine Mutter von ihrem Ausflug:
Ihre Reise führte zuerst zur Adlerkehre. Der erste Halt wurde am Berg Dalsnibba eingelegt. Der Reiseführer war auch ein Deutscher, diesmal ein Franke. Am Fuße des Dalsnibba ist ein herrlicher See, der unverschämt kobaltblau funkelt. Der Reiseführer berichtet, daß die Farbe daher rührt, daß das Seewasser viel Kobalt enthält. Aha, daher also!
Die liebliche Alm neben dem See wird durch einen Verein in ihrem prächtigem Zustand erhalten. Der Reiseführer spart nicht mit witzigen Geschichtchen. So befindet sich im Nachbartal der Jungfernstein. Deiser heißt so, weil er in seiner Mitte ein Loch von 50 Zentimetern Durchmesser hat. Wenn nun, nach der Kirmes, die Mädels nicht mehr durch den Stein schlüpfen können, dann wird das Aufgebot bestellt.
Weiter ging die Reise über eine private Mautstraße, die fast ausschließlich als Schotterpiste angelegt ist. Acht Jahre dauerte der Bau dieser Straße, die meisten Arbeiten konnten nur von Hand ausgeführt werden. Auch bei „meiner“ Straße machte uns der Reisebegleiter auf die Sprengbohrungen aufmerksam, durch die in den Fels die Straße getrieben wurde. Ein Glück, daß im späten 19. Jahrhundert im Nachbarland Schweden Herr Nobel das Dynamit erfand.
Aber zurück zur heutigen Mautstraße; sie ist furchterregend steil und übelkeitserregend, fast allen Reisenden wurde blümerant zumute. Satte 25 Minuten benötigte der Bus, dessen Fahrer Roy, wie alle anderen Busfahrer dieser Region auch, für diese Strecke eine extra Schulung (jährlich muß ein Leitsungsnachweis erbracht werden) erhielt. Rekord fürs Mountainbike 2006: 1 Stunde und 6 Minuten, ein Jogger brauchte dazu nur 23 Minuten länger als der Radfahrer.
Es gibt sogar einen Witz über die Strecke:
Ein schwedischer Gastarbeiter fuhr diese Mautstraße immer rückwärts hinauf. Darauf angesprochen, warum er das täte, antwortete er „Da oben ist immer so viel los, da kann man nicht wenden.“ Eines Tages nun fährt der Schwede die Strecke rückwärts herunter? „Aja, heute war oben alles leer, da konnte ich wenden.“
An einem herrlichen Aussichtspunkt zur Fjordseite ist eine riesige Hochzeitsgesellschaft zu Gange. Das Paar ist in Tracht. Weiter geht es über 11 gewaltige Kehren zur Adlerkehre. Auch hier ist der Ausblick atemberaubend.
Ihr Reiseführer verabschiedet sich mit dem Versprechen, daß es am folgend Tag in Bergen, unserem nächsten Ziel, regnen wird.
Schauen wir mal…
Die Mona Lisa ankert auch in Geiranger.
Eine Karte vom Geiranger-Fjord. Zum Vergrößern aufs Bild klicken. Die rot eingemalte Fläche bin ich abgewandert.
Die Liste aller Kreuzfahrtschiffe, die 2006 in Geiranger Station machen. Ohne diese Schiffe wäre das ein gottverlassenes Fleckchen Nichts. So finden ca. 1.000 Leute, die meisten davon Gastarbeiter, Arbeit.
Der Ort Geiranger. Im Hintergrund ein riesiglanger Wasserfall.
Die Arielle auf Reede im Geiranger-Fjord.
Holländer, die sind überall, aber auch ein Italiener aus Turin schaffte es nach Norwegen.
An dieser Stelle beginnt unsere Wanderung. Zu unseren Füßen das Örtchen und unser Schiff.
Hoch hinaus. So weit sind wir schon gewandert.
Und noch weiter geht es aufwärts.
Das ist unser Ziel: ein Wasserfall.
Diese beiden Norweger haben die passende Bekleidung für diesen heißen Tag.
Am Ziel: erst einmal ausruhen. Im Hintergrund schneebedeckte Berge.
Was hab ich geschwitzt.
Unser Ziel ist erreicht.
Norwegische Bergziegen.
Der Mann in rot ist Reiseführer Norbert. Und ja, die Lamas machen tatsächlich das, was man denkt.
Unser Schiff aus der Vogelperspektive.
Der Geiranger-Fjord. Am rechten Rand kann man die Serpentinen erkennen, die den Berg erklimmen.
Norwegische Hochzeitstracht.
Bild auf dem Dalsnibba.
Der Prinzenwasserfall. Also für mich sieht das eher wie eine Schnapsflasche aus.
Die sieben Schwestern sind gegenüber des Prinzen, aber momentan etwas wasserarm.
Ausfahrt aus dem Geiranger-Fjord.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Weitere Bilder der malerischen Fjordlandschaft im Abendlicht.
Drei Mitglieder des Reiseveranstalters vor dem Avalon- Restaurant.
Feisters Abend-Diner mit allem Schnickschnack. Obwohl niemand Hunger gehabt haben kann, war das Buffet nach 40 Minuten leer.
Freitag, 04.08.2006 – Seetag
Heute werden wir wieder den Polarkreis überqueren. Auch das kalte und trübe Wetter hat nun ein Ende. Schon am Vormittag strahlt ein blauer Himmel und freundliche 23 Grad lassen die Sonnendecks bald proppevoll sein. Als Überraschung gibt der Kapitän 6 Fässer Freibier aus. So etwas hebt natürlich immer die Laune. Und wir lassen uns nicht lumpen, so schnell, wie die Fässer leer sind, kann man kaum schauen. Offensichtlich hat Stimmung doch etwas mit dem Wetter zu tun, denn es wird ausgelassen getanzt und gesungen.
Das Mittagessen ließen wir an dem Tag ausfallen und schauten stattdessen im Reisebüro nach, wo sich Mutti für die nächste Tour bei Transocean zusätzliche 10% Rabatt für eine künftige Reise sichert. Danach trinken wir noch irgendwo einen Kaffee und bekommen mit, wie sich am Nachbartisch eine Frau darüber aufregt, daß auf dieser Reise alle Ossis 50% Rabatt bekamen. Also die Impertinenz und Dummheit stirbt sicher niemals aus. Später stellt sich heraus, daß sie die mehr als 100 mitreisenden Schweizer, die einen gewissen Gruppenrabatt über ihr Reisebüro bekamen, mit Ossis verwechselt haben muß und auch mit der Umrechnung Schweizer Franken in Euro so ihre Probleme hatte. Wenn man also keine Ahnung hat, soll man einfach mal seine dumme Klappe halten.
Gegen Mittag finden Führungen durch die Räume des Schiffs und über die Brücke statt. Da schließe ich mich natürlich gerne an und kann so auch mal in die Bereiche schauen, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Blöderweise habe ich aber den Chip des Fotoapparat in der Kabine gelassen, so daß mir nur zum wenige Bilder von der Brücke gelingen (interner Pufferspeicher von 16 Megabyte ist nicht allzuviel).
Nachmittags verkrieche ich mich sonnenbrillenbewehrt mit Harry Potter an einen angenehm schattigen Tisch und lasse mir ab und zu ein eiskaltes Getränk reichen, das Leben ist schön. Bestimmt fünfmal muß ich die Lektüre unterbrechen, um mit mehr oder weniger jugendlichen Reisenden etwas über Harry Potter zu fachsimpeln.
Nachmittags findet sich dann unsere Skatrunde wieder zusammen, ja das ist Urlaub wie ich ihn mag.
17:45 Uhr teilt uns ein Mitspieler (ein ehemaliger Handelsschiffahrer) lapidar mit, daß das Wetter gleich umschwingen werde. Anzeichen waren für Laien nicht erkennbar. Und doch hatten wir keine 10 Minuten später statt Sonnenschein dicksten Nebel mit eiskaltem Wind. Sehr beeindruckend. Wir flüchten ins Bistro und spielen unverzagt weiter.
Kleiner Exkurs zum Thema Schiff:
Wenn ich etwas an Schiffen liebe, dann ist es das ständig vorhandene, tiefe, sonore, Brummeln der Schiffshauptmaschine. Nach wenigen Stunden hat man sich daran gewöhnt und wenn man von Bord geht, vermißt man es recht lange. Und kehrt man auf ein großes Schiff zurück ist dieses Geräusch sofort wieder vertraut wie ein alter Freund.
Auch das sanfte Auf und Ab, was ja vielen Reisenden Unwohlsein bereitet, ist für mich beruhigend. Das Schaukeln und das Brummen sorgten wohl hauptsächlich dafür, daß ich auf Schiffen immer schlafen kann wie ein Baby. Nicht nur tief und fest, sondern auch unanständig lange. Und nicht nur mir geht es da so. Insofern ist das schon einmal sehr erholsam.
Ende des Exkurses.
Der Abend wird diesmal im Irish Pub bei Kilkenny und Guinness und auch einem Pfefferwodka (irgendwie ist Pfefferwodka ein idealer Kreuzfahrtschnaps) beschlossen, in dem heute auch angenehme Livemusik vom Klavier ertönt.
Freibier!
Wohl gefülltes Sonnendeck bei herrlichem Wetter.
Sommer, Sonne, Sonnenbrand. Die Arielle bietet tatsächlich auf drei Ebenen Plätze zum Sonnen, da gibt es kein Gedränge und keinen Ärger.
Antennenwald und Radar auf der Brücke.
Auf der Brücke des Schiffs.
So sieht der Steuermann das Meer.
Donnerstag, 03.08.2006 – Tromso
Nur 176 Seemeilen (326 Kilometer) brauchten wir bis zu unserem nächsten Ziel zurückzulegen. Bei 11 Grad und diesigem Wetter haben wir sechs Stunden Aufenthalt in der nordnorwegischen Stadt Tromso. Als erstes beeindruckt uns die gewaltige Brücke auf, die den Stadtkern mit dem Festland verbindet. Wir gehen von Bord und ich schlendere, diesmal alleine, durchs Stadtzentrum. Es ist eine junge Stadt, es geht international zu, man merkt, daß hier eine international geachtete Universität ist. Das die Stadt jung und voller Studenten ist beweist auch die Statistik, daß es in der Innenstadt 13.000 Sitzplätze in Kneipen, Bars und Cafes gibt.
Ich hole etwas Geld und kaufe eine Tageszeitung und ein paar alkoholfreie Getränke, die ich an Bord schaffe. Dann beginnt meine gebuchte Tour. Zuerst fährt unser Bus recht lange durch ein beeindruckendes Tunnelsystem auf die andere Stadtseite. Noch nie sah ich so großzügig angelegte unterirdische Straßen inklusive diverser Kreuzungen mit Ampeln, Parkplätzen usw. Der Reiseführer berichtete, daß es im Winter spannend ist, wenn man aus den Tunneln herauskommt und dort auf einmal gegen Nebel, Sturm und Eis ankämpfen muß.
Nach einer kurzen Stadttour halten wir am Polaria. Das ist ein naturkundliches Museum, welches sich der Fauna des Nordmeeres widmet. Ich bestaune monströse Krabben, seltsam aussehende Fische. Am besten gefallen mir natürlich, wie allen anderen Besuchern auch, die Seehundweibchen Aurora, Bella und Mai San, die in einem riesigen Behälter neben und über uns ihre Schwimmkünste zeigen. Anschließend schauen wir uns einen weiteren Panoramafilm über die Natur des Nordens, vor allem auf Spitzbergen, an.
Auf der Fahrt zur nördlichsten Kathedrale der Welt (ich hör dann auf mit den Superlativen) passieren wir die Mack-Brauerei, die die nördlichste Brauerei, ups.
Und natürlich war es ein Deutscher, der die segensreiche Erfindung des Gerstensaftes hierher brachte.
Wir überqueren die anfangs erwähnte Seebrücke und bestaunen die Eismeerkathedrale. Vor allem die Lichtspiele im Panoramafenster beeindrucken mich sehr.
Auf der Rückfahrt steht uns wieder eine kleine Überraschung bevor. Statt wieder über die Brücke zum Hafen überzusetzen, fahren wir nordwärts, um wenig später wiederum in einem, ewig langen Tunnel den Meeresarm zu unterqueren. Wir rasten in einem Wald- und Moorgebiet und haben Blick auf eine benachbarte Insel. Die Brücke dahin kostete 30 Millionen norwegische Kronen (knapp 4 Millionen Euro). Wie wurde sie finanziert? Nun, man stellte für 4 Jahre eine Mautstation auf und kassierte von jedem passierendem Auto eine Gebühr. Und als dann der Baubetrag beisammen war, wurden die Mauthäuschen abgebaut. Und das war nicht das erste Mal, daß unsere Reiseführer erwähnten, daß man in Norwegen Steuergelder nachweisbar für das Volkswohl ausgibt. Da kommt man ins Grübeln.
Wir führen weiter in Richtung Campus. Gegenüber der Uniklinik ist eine Riesenschanze zu sehen. So konnte man witzeln, daß übermütige Skiflieger gleich dort landen, wo sie hingehören. Tatsächlich kümmert man sich aber in der Uniklinik mehr um die Bereiche Lichttherapie (die Suizidrate in der mehrmonatigen Polarnacht ist hoch) und Fernbetreuung. Da das Land dünn besiedelt ist, gibt es in der Tat unbemannte Sprechzimmer, in denen ein Arzt per Telefon, Internet, Webcam usw. Erstdiagnosen vornimmt und im Zweifel dann selbst vorbeischaut oder den Patienten holen läßt.
Man sieht, wir hatten wieder riesiges Glück mit unserer Reisführerin, die in aller Kürze mit viel Charme und guten Informationen unsere Herzen eroberte.
An Bord zurückgekehrt, berichtete meine Mutter, die individuell unterwegs war, von einem Rentner, der, vor dem Polaria stehend, laut überlegte, ob er nicht den einen Kilometer zum Schiff zurückgehen solle, um seinen Rentnerausweis zu holen, da dann der Eintritt nur 75 Kronen statt 90 Kronen Eintritt kosten würde. Da war die Frage im Nordmeer nach einer aktuellen Tageszeitung ja schon richtig niveauvoll. Aber es sollte noch schlimmer kommen, doch dazu in einem späteren Bericht.
Mutter hat sich ein Minitäschchen aus Robbenfell geleistet und sich von einem fußballbegeisterten Lappen ein hölzernes Rentier aufschwatzen lassen.
Die Arielle läuft am Abend aus und fährt immer entlang der zerfurchten Küste gen Süden. Die nächsten tausend Kilometer liegen vor uns.
Belebte Straße in Tromso. Soviel Menschen hatten wir lange nicht auf einem Haufen gesehen.
Hey, ich kann norwegisch. Dieses schöne Gebäude ist offensichtlich eine Bibliothek.
Auch in Tromso wimmelt es von Eisbären.
Aurora, eine der drei attraktiven Stars des Polaria.
Ludwig Mack aus Bremen gründete 1877 die nördlichste Brauerei der Welt.
Ein Wandteppich in der Kathedrale von Tromso.
Schnappschuß von unserem Schiff während des Überquerens der Seebrücke.
Die „Kong Harald“, ein Schiff der Hurtigrouten hat gerade abgelegt und fährt durch die Seebrücke. Im Hintergrund sieht man die Kathedrale. Tip: niemals Hurtigrouten fahren, der Alkohol dort ist prohibitiv teuer.
Mittwoch, 02.08.2006 – Nordkap und Honningsvag
Satte 570 Seemeilen (1055 Kilometer) hat die Arielle seit Ny Alesund stramm Richtung Süden (naja, Südsüdost) zurückgelegt. Als wir gegen 20:30 Uhr das Nordkap von der Seeseite her bestaunen, wird uns erst einmal klar, in welcher Einöde und in welche fernem Punkt wir uns noch gestern befunden haben. Unser Schiff läuft im Hafen von Honningsvag ein und ich kann das „richtige“ Norwegen auf der Liste besuchter Länder der Erde abhaken.
Per Bus geht es auf abenteuerlichen, aber super ausgebauten Serpentinenstraßen zum Nordkap. Wir sehen sehr viele Rentiere, die einfach so frei in der Gegend herumstehen und grasen. Bei einem Kurzhalt dürfen wir auch einen echten Ureinwohner nebst Zelt und Rentier bestaunen. Da ich Depp meine Brieftasche in der Kabine liegenließ, kann ich kein Souvenir kaufen. Dabei hätte sich der Brieföffner aus Rentierhorn gut in meiner Wohnung gemacht.
Unser Bus fährt mutterseelenallein weiter gen Nordkap. Gegen Mitternacht sehen wir auf einmal wie aus dem Boden gestampft Gebäude und riesige Parkplatzflächen, die zu meinem großen Erstaunen proppevoll sind. Kennzeichen aller europäischen Länder sind zu sehen. Man sieht Fußgänger, Radfahrer, Wohnmobile, PKWs und Busse in stattlicher Anzahl. Dabei waren wir doch vor zwei Minuten noch ganz alleine und auf unserer Straße tummelten sich Rentiere. Nun gut. Unsere Straße endet eben in Honningsvag und danach geht es schlicht und ergreifend nicht weiter.
Wir haben übrigens das erste Mal seit vier Tagen so etwas Ähnliches wie Dämmerung, denn am Nordkap geht die Sonne um 23:37 Uhr unter, um 01:19 Uhr wieder aufzugehen. So richtig dunkel kann es da freilich nicht werden. Mit zahllosen anderen Besuchern schauen wir gen Norden, wo wir in 1.000 Kilometern Entfernung nun Svalbard wissen, bewundern den Globus und die geographischen Angaben, erfahren einiges über die Natur und die Geschichte. Zweifelloser Höhepunkt ist der Besuch eines 220-Grad-Panoramakinos, in dem uns ein eindrucksvoller Film über Spitzbergen und seine Flora und Fauna gezeigt wird. Leider ist unser Aufenthalt zeitlich sehr beschränkt. Doch beim Einsteigen in die Busse zieht urplötzlich dicker Nebel auf, so daß man sowieso nichts mehr sehen kann und ich nur staunen kann, daß wir unser Schiff tatsächlich wiederfinden.
Gegen 2:00 Uhr betreten wir wieder das Schiff und ab geht es ins Bett.
Unsere tägliche, kleine Freude: die Kellner geben ein Ständchen mit Zugabe. Auf dem Bild sieht man den Gesangsmeister mit Strohhut.
Blick auf das Nordkap vom Schiff aus.
Superverwackeltes Bild eines Lappen mit seinem Rentier.
Öltanks in Honningsvag. Sieht zwar nicht schön aus, aber wo sonst soll man an diesen Steilen und schroffen Küstenlinien Platz für Zivilisationsgüter haben?
Zwar nicht scharf, aber aussagekräftig: solche Buskolonnen begrüßen uns meistens bei der Landung am Kai. Busunternehmer (und Fremdenführer) müssen Kreuzfahrtschiffe abgöttisch lieben.
Blick vom Nordkap in Richtung Nordwest.
… warum derzeit der Diesel so idiotisch teuer ist, liefern die Experten:
Schuld daran sind nämlich die olympischen Spiele in China!
Dienstag, 01.08.2006 – Ny Alesund/Spitzbergen und Passage des Hornsund-Fjords
Karte von Svalbard.
Heute stehe ich extra etwas zeitiger auf, denn schon 8:00 Uhr sollen wir in Ny Alesund anlegen. Der nördlichste Punkt unserer Reise ist damit erreicht. Von Nordisland aus haben wir 961 Seemeilen (1779 Kilometer) zurückgelegt. Eigentlich sollten wir ja nach dem Besuch Ny Alesunds noch bis zur Packeiszone gen Norden fahren, doch leider wurde, trotz großem Protests vieler Passagiere, genau dieser Punkt von unserer Reise gestrichen. Wir erinnern uns, daß das Schiff wegen eines Motorschadens mit einem Tag Verspätung zu dieser Fahrt startete. Insofern muß natürlich auch ein Ausflugsziel gestrichen werden. Nun waren viele extra wegen des Besuchs des Eismeeres, wegen Eisschollen, wegen Eisbären usw. diese Tour gebucht und genau dieser Punkt wurde gestrichen. Aber irgendwie konnte der Veranstalter ja nur verlieren, denn eine gute Lösung des Problems gab es sowieso nicht. Naja, und wenn man schon nur einen Tag auf Spitzbergen weilt, dann wenigstens mitnehmen, was man mitnehmen kann. Das Wetter ist sonnig. Draußen sind 3 Grad und es bläst ein kräftiger Wind. Kaum ist die Reeling heruntergelassen, gehen wir von Bord und setzen den Boden auf eine der nördlichsten Siedlungen der Welt. Im Winter überdauern 30 bedauernswerte Einsame in ewiger Dunkelheit auf diesem trostlosen Flecken Erde und im Sommer sind es immerhin 120 Menschen, die sich um die 1.000 Touris kümmern, die irgendwelche Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge hierherbringen. Wir halten uns abseits der Massen und wandern lange auf ausgewiesenen Pfaden über die Insel.
Trotz langer Unterhosen und dicker Jeans friere ich an den Waden, so stark pustet der Wind in Bodennähe. Das Leben kann hier auf Dauer keinen Spaß machen. Trotzdem erspähen wir einige Algen und Flechten und ab und zu sogar ein kümmerliches Moospflänzchen. Immerhin ist es ja mitten im Hochsommer. Einige Vögel sehen uns mißtrauisch an. Sie brüten auf purem nackten Geröll. Material zum Nestbauen gibt es schlichtweg nicht. In der Nähe der Wohnungen streunen einige Polarfüchse herum und beobachten uns aus sicherer Ferne. Trotz strahlendem Sonnenschein ist es saukalt, vor allem durch den heftigen, böigen Wind.
An den Bauten erkennt man, das hier die Natur gnadenlos ist. Alles ist farblos, gekrümmt, an die Erde gedrückt und von den Naturgewalten gebeutelt. Daß hier dennoch Kohle abgebaut wurde, nötigt einem Respekt ab, aber man bedauert automatisch die Menschen, die das machen mußten.
Heute ist auch Tag der Superlative, wir sehen also die nördlichste Siedlung der Welt, die dauernd bewohnt ist, das nördlichste Hotel der Welt und das nördlichste Postamt der Welt, in dem hoffentlich alle meine Postkarten abgestempelt wurden. Ok, irgendwie ist hier alles am nördlichsten in der Welt, denn wenn man weiter gen Norden vorstößt, dann kommt da nur noch der Nordpol. Deshalb starteten ja im Mai 1926 auch Roald Amundsen und Umberto Nobile ihre legendäre Fahrt mit der Norge zum Nordpol von hier aus.
Am Amundsen-Denkmal mischen wir uns heimlich unter eine Gruppe amerikanischer Studenten, die per Flugzeug von Kanada aus hierherkamen. Ihr schwedischer Reiseführer erzählt sehr spannend und anschaulich, wie die Eroberung des Pols von statten ging. So wissen wir jetzt auch, daß am Grunde des Nordpols eine schwedische Münze liegt, die ein Expeditionsmitglied (der Funker) in Ermangelung seiner Landesfahne über der Stelle abwarf.
Die Warnungen vor angriffslustigen Eisbären, die wir bisher nur belächelt hatten, erhalten Gewicht durch die Ausrüstung der Touristenführer, die alle gut bewaffnet sind und auch sonst beeindruckend ausgestattet sind. Wir wundern uns, wo die norwegischen, amerikanischen und japanischen Touristengrüppchen herkommen, denn außer unserer Arielle liegt kein Schiff im Hafen. Später erfahren wir, daß sie per Motorschlitten vom nahegelegenen Flughafen Longyearbyen hierherkamen.
Obwohl keiner wieder an Bord möchte ist das doch vernünftiger, denn wir sind alle bis auf die Knochen durchfroren. 10:30 Uhr heißt es Leinen los und in gleißender Sonne verläßt unser Schiff diesen einsamen Ort. Da die Sonne scheint, ist das Wasser satt blau und die schneebedeckten Berge und die Gletscher glitzern. Man kann sich gar nicht sattsehen. Dennoch finden wir natürlich ein Stunde Zeit fürs Skatspiel. Das Abendbrot lassen wir diesmal ausfallen, denn die Passage des Fjords ist viel interessanter. Eisschollen trudeln vorbei, bis zu 30 Meter hohe Gletscher ergießen sich ins Meer und darüber thronen kohlrabenschwarze, kahle Bergkuppen. Unwirklich und unirdisch schön. Solche Bilder vergißt man sein Leben nicht, so etwas macht das Leben noch lebenswerter und das ist einer der Hauptgründe, warum ich solche Reisen mache.
Allgegenwärtiges Warnschild auf Ny Alesund. Gesehen haben wir aber keinen Einzigen.
Blick über den gesamten Ort Ny Alesund, im Hintergrund ankert unser Schiff.
Ein Gletscher ergießt sich ins Meer. Rechts vorne ist der Mast, an dem das Luftschiff Norge bei seiner Nordpolreise andockte.
Das GPS meldet seine nördlichsten Werte. Der Nordpol ist nur noch ein Etmal entfernt.
Sehr karge Landschaft in Ny Alesund.
Das Grün und Braun sind Flechten. Im Hintergrund ein Gletscher.
Suchbild: in diesem Bild sind mindestens zwei Polarfüchse und mehrere Vogelkolonien verborgen.
Der wohlausgerüstete Reiseführer am Denkmal von Amundsen. Man achte auf das Gewehr.
Das Heck der Arielle, dahinter die Küste Svalbards.
Im Hornsund-Fjord.
Ein schroffer Gipfel im Hornsund.
Nicht ganz so echter Eisbär im Hornsund-Fjord.
Montag, 31.07.2006 – Seetag
Viele mögen ja keine Seetage, da man zwangsläufig weniger (an Land) erleben kann. Ich hingegen liebe Seetage. Nun ist schon der zweite am Stück. So bekommt man wenigstens den Hauch des Eindrucks einer Seefahrt. Das Wetter hat sich kaum geändert, es sind um die 6 Grad und es ist überwiegend bedeckt. Das ist als einziges schade, denn so können wir die Mitternachtssonne nicht sehen.
An dieser Stelle erzähle ich einmal vom generellen Tagesablauf auf so einem Schiff. Prinzipiell gilt: der Gast ist König und kann tun und lassen, was er will. Außer bei der Seerettungsübung, die alle 14 Tage obligatorisch für alle ist, gibt es keine Pflicht, zu irgendetwas zu erscheinen. So kann man den ganzen Tag in der Kabine liegen und lesen und sich Essen und Trinken in die Kabine liefern lassen. Da das begreiflicherweise eher wenige so handhaben, gibt es aber auch noch einen definierten Tagesablauf. Größter Wert wird dabei aufs leibliche Wohl der Passagiere gelegt. War Seefahrt früher bezüglich des Essens eine Katastrophe (der Seemann der kocht, heißt nicht umsonst Smutje (kommt von Schmutz, Dreck) und Skorbut und Lebensmittelvergiftungen und Verdursten waren häufige Todesursachen), so ist auf einem Kreuzfahrtschiff alles anders. In seinen riesigen Bauch mit endlosen Kühlregalen und Tiefkühlschränken passen Tonnen um Tonnen frisches Obst, Gemüse, Fleisch, Getränke aller Art. In fast jedem Hafen werden die Vorräte um lokale Spezialitäten erweitert. Bestimmt mehr als 100 Konditoren, Bäcker, Soßenköche, Sommeliers, Barmixer, Zutatenköche, Suppenköche, Brater und eine Heerschar Kellner bemühen sich unter der Regie von Chef- Meister- und leitenden Kellnern und Köchen von 6:30 bis zum von der Witterung abhängigen offenen Ende ums leibliche Wohl von uns 1168 Passagieren.
Ab 06:30 gibt es für Frühaufsteher schon Kaffee und Croissants. Von 07:00 Uhr bis 10:00 Uhr kann man üppig frühstücken. Dazu wird alles geboten, was man sich als Mitteleuropäer (an Bord sind fast ausschließlich Schweizer, Österreicher und Deutsche) vorstellen kann.
Mittagessen gibt es von 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Die bordeigene Pizzeria bietet kostenfrei Pizza und Pasta von 10:30 bis 18:30 Uhr an. 15:30 bis 16:30 Uhr gibt es Kaffee, Tee und Kuchen und Torten und Eis und Schnittchen und Gebäck. 18:00 Uhr – 20:00 (bzw. in der zweiten, in unserer Sitzung ab 20:00 Uhr) ist Abendbrotzeit. Dabei heißt Abendbrot allerdings immer mehrgängiges Menü. Und von 23:00 Uhr bis Mitternacht laufen noch einige nette Menschen durchs Schiff, die gratis Leckereien wie Hühnerbeine, Toast Hawaii, Gehacktesbällchen usw. feilbieten.
Der bordeigene Irish Pub öffnet um 07:00 Uhr. Spätestens 10:00 Uhr haben dann alle CLunbs, Lounges und Bars auf. Die Getränke, die dort gereicht werden muß man allerdings zahlen. Doch fällt das nicht schwer. Zum einen habe ich ein Bordguthaben von 50 EUR, das noch versof^wverbraucht werden will, zum anderen fällt Bezahlen sehr leicht, denn die pfiffigen Kellnerinnen und Kellner kennen einen sehr schnell mit Namen und Kabinennummer und so braucht man nicht einmal seinen Bordausweis zu zücken. Allerdings muß man für jedes Getränk unterschreiben. Abgerechnet wird dann am Schluß. Man kann aber auch jederzeit eine Zwischenabrechnung vornehmen lassen.
Nun ißt man natürlich nicht ständig auf so einer Reise. Gewitzt durch vorhergehende Fahrten ließen wir täglich ein, zwei Mahlzeiten weg und durchstreiften stattdessen das Schiff. So gab es einen Schaukasten, der uns über Ereignisse in der Welt informierte, an dem ich täglich haltmachte. An diesem Tag erfuhr ich vom Tode der Schauspielerin Elisabeth Volkmann, bekannt aus Klimbim und als deutsche Stimme der Marge Simpson. In der Kabine war zwar ein Fernsehgerät, aber in der momentan besuchten Region der Welt hat man keinen kommerziellen Fernsehsatelliten über sich, der dieses Gerät versorgen kann. Es läuft aber ein bordeigenes Fernsehprogramm mit Dokumentationen, Spielfilmen und mit Infos von der Brücke (Kamera, Wetter- und Fahrtdaten).
Ich schalte den Fernseher aber nur sehr selten ein. Das Bordradio hat nur zwei Programme (sowas wie Klassik, wiederholt sich ständig und sowas wie Unterhaltung, wiederholt sich auch ständig). Aber ich habe ja das Notebook dabei, welches üppig mit MP3 befüllt ist und ein Abspielgerät ist auch vorhanden. Und in Island erwarb ich ja schöne CDs.
Der heutige Tag jedenfalls wird verbracht mit Skatspiel, mit dem Besuch eines Vortrages über Spitzbergen, mit dem Schreiben zahlreicher Postkarten (Zeit drängt) und meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Beobachten des Meeres. Ich bin einfach zufriedenzustellen, ich brauche nur etwas Platz und bewegtes Wasser und dann ist für mich die Welt in Ordnung. Nun, Plätze haben wir genug und Wasser auch. Am späten Nachmittag sichte ich das erste Mal in meinem Leben Wale. Ein Exemplar schmimmt keine 10 Meter neben dem Schiff und stößt gewaltige Fontänen aus. Alle Beobachter sind begeistert und keiner hat einen Fotoapparat dabei. Trotz leichtem Schnupfens (medikamentös hervorragend bekämpft) bin ich oft draußen und stehe im eisigen Nordwind. Mir kann er nichts mehr anhaben, ich habe ja in Island winddichte Oberbekleidung samt Mütze erworben. Der Wind greift sich aber meine Skatkarten, diese wirbeln nur kurz auf dem Deck hin und her und verschwinden ruck-zuck im eisigen Nordmeer. Also, wer da oben ein deutsches Blatt findet, der weiß jetzt, von wem das stammt.
Am Abend werden in der Lounge im festlichen Rahmen Couplets der 20er Jahre geboten. Darauf verzichten wir dankend, sondern schwätzen lieber in einer der zahlreichen Bars. Da wir ständig irgendwelche Zeitzonen durchqueren, wird schon wieder die Uhr umgestellt. Ich mache noch einen Nachtspaziergang. Daß es 01:30 Uhr ist, merkt man nicht, es ist sehr hell. Morgen früh sollen wir Spitzbergen erreichen, also gehe ich erwartungsvoll ins Bett.
Wie man sieht, ist der Außenpool beheizt und zu jedem Wetter beliebt, vor allem bei den Kindern.
Nachts halb zwei auf dem Oberdeck. Es ist ziemlich hell und ich bin nicht der einzige Nichtschläfer.
Wie man lesen kann, forscht man jetzt auch in Europa munter daran, Chimären zu produzieren.
Als eifriger Science-Fiction-Leser wurde ich schon häufig aus verschiedensten Richtungen mit genau diesem Thema konfrontiert. So erkannte Stanislaw Lem schon in den 1960er Jahren, daß sich die Moral zwangsläufig an den Fortschritt anpassen muß. Andere Schriftsteller beschrieben in ihren Geschichten auch oft moralische Konflikte, ohne freilich Lösungen anbieten zu können. Allzu glatt ist das Eis für uns in Deutschland, denkt man bei Experimenten am Menschen doch automatisch an Adolf Nazi.
Einen gekonnten Umgang mit Halbwesen hingegen beweist der der Waliser Jasper Fforde, in dessen Parallelwelt die Gentechnik eine immense Rolle spielt. So haben viele Bürger ihre Haustiere gentechnisch im Hobbykeller erzeugt. Dazu zählen Dodos (bis Version 1.2 noch ohne Flügel), tasmanische Beutelwölfe (DH 72) oder auch Flamingos. Und man liest den „Splicer“. Mammuts und Neanderthaler leben mitten unter uns, freilich nicht ohne diverse Probleme. So sind Neanderthaler zeugungsunfähig und damit zum zweiten Mal zum Aussterben verurteilt. Sie sollten übrigens als Arbeitssklaven bzw. Soldaten in Massen gezüchtet werden. Dummerweise sind sie vom Charakter her weder für das Eine noch das Andere geeignet.
Doch bei Chimären, da kennt diese Welt keinen Spaß. Dann kommt sofort ein Sondereinsatzkommando, welches das Halbwesen liquidiert und der Erzeuger wird vor Gericht gestellt.
Vielleicht könnte man ja in diese Richtung denken, dann wäre mir wohler, denn was ich nicht weiß, das…
Jedenfalls denke ich bei solchen Forschungen eher an menschliche Ersatzteillager, an leidende Wesen, die weder Tier noch Mensch sind und für die Mutter Natur keinen Platz vorgesehen hat.
Sicher ist jedenfalls, daß sich meine und die nächste Generation in Parteien, Kirchen, Gerichten usw. schon einmal heftig Gedanken machen dürfen, wie wir mit den neuen Herausforderungen umzugehen haben. Dagegen sind die Dinge, die durch die Vernetzung möglich geworden sind, reinster Kindergeburtstag. Ich meine damit so banale Sachen wie Spammer, Schwarzkopierer, Communities usw.
Sieht man einmal, wie schwer wir uns mit dem § 218 StGB taten und immer noch tun, dann möchte ich nicht wissen, wie Menschen auf geklonte Geschwister (bei Haustieren funktioniert das schon) oder Mäuse mit Ersatzpenissen reagieren.
Oder ob ein Kind Erbe werden kann, wenn es erst Monate, Jahre nach dem Tode des Vaters durch dessen tiefgefrorenes Sperma gezeugt wurde. Oder man, so kein Sperma vorhanden war, vom Autounfall noch ein paar Gramm Genmaterial besorgt, aus denen man dann Erbgut gewinnen kann. Was passiert, wenn man seinen Klon umbringt? Oder er einen umbringt? Wenn man Sex mit seinem Klon hat, ist man dann schwul (lesbisch) oder ist das nur eine neue Ebene der Masturbation? Oder ist es gar Inzest? Überhaupt, die Sexindustrie wird Millionen verdienen mit aus echtem Fleisch bestehenden Nachbildungen diverser Persönlicheiten, die dann freilich keine Persönlichkeit haben werden. Oder vielleicht doch? Oder nur ein bißchen?
Die Gedanken führen alle in unfaßbare, moralisch unbesetzte Gebiete.
Und wenn man schaut, wie sich junge Menschen heute schon einem Körperkult hingeben, indem sie ihn nicht nur glatt rasieren, sondern diesen dann auch mit Brandzeichen, Tätowierungen versehen oder überall zerstechen und andersweitig stark gegenüber der Norm verändern, dann ist es nicht mehr weit zum gentechnischen Verändern der Haut in ein feines Blau. Es gibt ja auch schon Haustiere, die im Dunkeln leuchten. Und vielleicht ist in einigen Jahrzehnten oder Jahren der Zweitpenis Standard.
Vor wenigen Jahren hätte ich über solche Gedankengänge nur müde gelächelt, da ich die Verwirklichungen durch die Wissenschaft noch in jahrhunderteweiter Ferne sah. Doch wenn man so in der Fachpresse blättert, dem DLF lauscht oder einfach nur der Tagespresse, dann dürfte sich der Fortschritt gerade von rasend schnell auf explosionsartig ausbreiten.
Ich denke aber auch daran, daß man bisher immer noch nichts gegen die Alopezie gefunden hat.
Zumindest diesen Fortschritt würden viele Herren noch begeisterter begrüßen als eine gewisse blaue Pille.
Sonntag, 30.07.2006 – Seetag – Passage der Insel Jan Mayen
Man achte auf den Sonnenaufgang.
Heute ist es ungemütlich. 8 Grad, Nebel und leichter Wind, da hält man sich nicht ewig draußen auf. Ich tigere durchs Schiff und hole zahlreiche Postkarten an der Rezeption, die ich heute und morgen beschreiben werde. Ich muß mir das Lachen sehr verbeißen, als vor mir eine Dame nach der aktuellen Tageszeitung fragt. Ihr ist offensichtlich entgangen, wo wir uns befinden.
10:30 Uhr ist am Sonnendeck, daß nun eher Nebeldeck heißen sollte etwas im Gange. Ich strebe dahin und lache mit zahlreichen Mitreisenden, als Neptun leicht verspätet die Polarkreistaufe macht. Mittlerweile zeigt mein Navigationssystem schon 70 Grad nördlicher Breite. Nach dem Mittagessen suche ich zum Skatspiel den dritten Mann. Sogar ein Vierter wird gefunden und schon sitzen wir im Spielzimmer und kloppen einen wunderschönen Skat.
Am frühen Abend taucht die Insel Jan Mayen aus dem Nebel auf. Alle stehen am Deck und gaffen das kahle Stück Fels an. Bei der Passage des Beerenbergs zeige ich auf meinem Notebook einige Bilder eines Bekannten, der auf der Vistamar im Vorjahr eine ähnliche Tour unternahm. Er hatte das unendlich große Glück, die Insel ohne Nebel und Wolken zu erleben. Ein mitreisender norwegischer Kapitän berichtete gar unter Tränen, das er den Berggipfel das erste Mal in 30 Jahren gesehen hätte.
Irgendwann verschwindet die Küstenlinie der Insel aus der Sicht und wir gehen zum Abendessen. Das tolle Abendgesangsprogramm der Kellner ist mittlerweile ein beliebter Tageshöhepunkt. Heute wird uns eine Elvis-Schnulze (fallin‘ in love with you) geboten.
Fraußen sind 6 Grad und es ist diesig. So sehen wir keine Sonne. Tatsächlich ist es gegen Mitternacht aber noch so hell, daß man lesen könnte. Doch ich lese lieber im Bett und so geht auch dieser Tag zu Ende und das Schiff strebt weiterhin mit 24 Knoten Richtung Norden.
Blick in die Kabine. Alles da, was man braucht. Ich bin nur zum Umziehen und Schlafen drin.
Wenn schon kein Äquator, dann wenigstens der Polarkreis als Taufanlaß.
Ein Blick auf die Internet-Surfstationen. So sah es dort immer aus, denn die Preise für die Benutzung waren prohibitiv (2 EUR pro Kilobyte Upload).
Die westliche Küstenlinie der Insel Jan Mayen.
Der Beerenberg in all seiner 2.277 Meter Höhe Pracht. Das Bild stammt von einem Bekannten, der vor rund einem Jahr die Stelle passierte.
Tja, dunkler wurde es nicht, komisch.
Samstag, 27.07.2006 – Akureyri, Godafoss und Laufas
Bei herrlichem Wetter (16 Grad. leicht bewölkt) fahren wir den ganzen Vormittag an der beeindruckenden Westküste Islands entlang. Man sieht Vulkankegel, eisbedeckte Bergkuppen, manchmal ein Fischerdorf oder eine Schlaufe der Ringstraße 1, die rund um die Insel führt.
Mein Navigationsgerät bestätigt, daß ich mich auf meinem am weitesten westlich entfernten Punkt von zu Hause befinde, den ich bisher je erreichte. Zwischen 10:00 und 12:00 finden ich noch Zeit, einen Skat zu kloppen. Das
Gegen Mittag fahren wir in den Fjord ein, an dessem Ende Islands viertgrößte Stadt Akureyri liegt. Viertgrößte Stadt bedeutet in dem Fall, daß dort keine 20.000 Menschen wohnen.
Gegen 14:00 Uhr gehen wir von Bord und besteigen die Busse. Auch diesmal haben wir Glück: unser Reiseführer liebt seine Heimat. Da er viele Jahre als Ingenieur in Kassel arbeitete, beherrscht er fließend die deutsche Sprache. Er erzählt nicht nur über Land und Leute, sondern spickte seine Kommentare mit Anekdoten, wissenschaftlichem Hintergrundwissen, Geschichte und Mutterwitz. Wie sehr ein gelungener Busausflug doch vom Reiseführer abhängt! Nach wenigen Kilometern hält der Bus schon. Wir parken gegenüber dem Hafen und haben einen schönen Blick über Akureyri und seine 24 Gipfel. Diese sind zwischen 1250 und 1500 Metern hoch. Alle Jahre findet ein Wettlauf statt, der über alle 24 Gipfel führt. Der Rekord stand 2006 bei 19 Stunden, Respekt!
Ein Blick auf die Westküste Islands.
Mein Navigationssystem. Mit Sextant und Co. war die Bestimmung der Länge und Breite spannender.
Der Fjord von Akureyri. Ausblick nach Backbord (also in Fahrtrichtung links bzw. nach Norden.
Der Fjord von Akureyri. Ausblick nach Steuerbord (also in Fahrtrichtung rechts bzw. nach Süden.
Unser Schiff liegt im Hafen von Akureyri.
Gunnar, unser kompetenter Reiseführer vor dem Bus.
Eine etwas längere Fahrt führt uns an grünen Wiesen, Bauernhöfen, breiten, aber flachen Flüssen vorbei. Bald stehen wir ehrfurchtsvoll vor dem Godafoss und knipsen ihn fleißig. Ich streife durch die unwirkliche Landschaft und beobachte die karge Flora. Weiter geht die Reise, vorbei an Flüssen, schneebedeckten Bergen mit Wasserfällen und Wiesen voller Ponys. Dazwischen immer wieder vulkanischer Schutt. Schließlich gelangen wir in Laufas an und können uns dort einen kleinen Eindruck vom Leben in früherer Zeit in dieser kargen Welt machen.
In Akureyri besichtigen wir die Hauptstraße und den nördlichsten botanischen Garten der Welt. Trotzt Golfstrom ist das Klima hier eher rauh, so daß hier eher Hochgebirgspflanzen bewundert werden können. Aber es gibt eine größere Anzahl echter Bäume, ein Anblick, der auf Island eher selten ist, denn nur im Südosten gibt es nennenswerte Bestände. Der Garten wurde 1912 von den Frauen von Akureyri gegründet und zu seinem 50jährigen Bestehen von der Stadt in die Obhut genommen. Wir haben eine Stunde Zeit, die zahlreichen Pflanzen zu bewundern.
Anschließend verabschieden wir uns herzlich von unserem Reiseführer und gehen wieder an Bord.
Dort gibt es nach dem Abendessen noch einen kurzen Besuch an der Bar und dann geht die Reise weiter. Am nächsten Morgen werden wir nördlich des Polarkreises sein.
Echte Islandponys. Sie dürfen zwar ausgeführt werden, aber niemals wieder zurück in ihre Heimat.
Berggipfel über Laufas. Der Dampf ist ein gerade ausbrechender Vulkan, äh, ich mein Morgennebel.
Einer der zahlreichen, großen Flüsse des Landes. Sogar während der Busfahrt konnte man zahlreiche, riesige Lachse beobachten. Leider ist Angeln streng überwacht und sündhaft teuer.
Der Nationalwasserfall der Isländer. Nicht der größte, aber der bedeutsamste, wurde hier doch der Grundstein für die heutige Religion gelegt.
Ich liebe diese Sprache. Aber fragt mich nicht, was der Text bedeutet.
Überall findet man solche Steinhaufen, in denen Trolle etc. wohnen.
Nach soviel karger und zwerklüfteter Landschaft tut es richtig wohl, satte grüne Wiesen und gerade Flächern zu erblicken.
Ungestüme Naturgewalten. Ein reißender Wildbach zerteilt das Vulkanhestein.
Laufas – ein nachgestaltetes Dorf, welches aufzeigt, wie man früher in Island wohnte.
Ein kümmerlicher Rhododendron im botanischen Garten. Ein Wunder, daß so nahe am Polarkreis überhaupt so etwas wachsen kann.
Endlich einmal Bäume! Im nördlichsten botanischen Garten der Welt.